Fahndung über Supermarktregal! Vermissten-Experte sagt, warum wir mehr davon brauchen
Donnerstag, 07.11.2024, 16:21 30 Jahre lang hat sich die deutsche Wirtschaft nicht um die Suche nach Vermissten gekümmert. Jetzt werden die Langzeitvermissten Inga Gehricke und Lars Mittank auf Smoothie-Flaschen gesucht. Eine gute, soziale Idee, die endlich dauerhaft Karriere machen sollte, findet Vermissten-Experte Peter Jamin.
Endlich engagiert sich wieder ein Wirtschaftsunternehmen für die Suche nach Vermissten. Fast drei Jahrzehnte hat es gedauert, seit in den 1990er Jahren plötzlich spurlos verschwundene Menschen etwa auf Milchflaschen bundesweit gesucht wurden. Damals war die mediale Berichterstattung über Vermisste auf ihrem Höhepunkt. Meine TV-Dokumentation „Vermisst – Über Menschen, die verschwinden, und jene, die sie suchen“ und meine Fernsehreihe „WDR-Vermisst“ hatte den Reigen eröffnet, dann folgen „Bitte melde dich“ auf SAT1 und „Spurlos“ bei RTL.
Ich selbst arbeitete damals mit meiner Vermisst-TV-Reihe auch mit der Band Soul Asylum zusammen. Im Video-Song „Runaway Train“ wurden vermisste Kinder und Jugendliche gesucht. Das Musikvideo trug nicht unwesentlich zum Erfolg der Band bei. Das Video zeigte die Bilder und Namen von vermissten Kindern. Es endete mit einem Aufruf des Soul Asylum-Frontmanns: „Wenn du eines dieser Kinder gesehen hast oder eines dieser Kinder bist, ruft bitte folgende Nummer an...“
Peter Jamin ist ein vielseitiger Schriftsteller, Kolumnist und Publizist. Mit über 35 Büchern thematisiert er gesellschaftskritische Themen in Sachbüchern, Romanen, Artikeln und Kolumnen, stets auf Missstände aufmerksam machend. Früher Redakteur bei der WAZ, ist er insbesondere als Experte für Vermisstenfälle bekannt, mit zahlreichen Publikationen und Medienauftritten. Jamin befasst sich bereits seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema „Vermisst“ und berät ehrenamtlich Angehörige von Vermissten, womit er einen bedeutenden Beitrag leistet.
Video von Soul Asylum in vielen Ländern Es gab in vielen Ländern alternative Versionen des Videos, jeweils mit vermissten Kindern aus dem eigenen Land. Bis heute arbeitet Bandmitglied Dave Pirner mit einer Vermissten-Organisation zusammen. Durch die Veröffentlichung des Musikvideos wurden weltweit 26 der im Video vorkommenden Fälle gelöst. Viele Kinder konnten wieder mit ihren Eltern vereint werden. In anderen Fällen ging es nicht glücklich aus, aber es gab zumindest für die Angehörigen Klarheit.
Ich hoffe darauf, dass Bands wie die „Toten Hosen“ sich wieder des Themas annehmen und bald mal mit einem populären Song und Video nach vermissten Kindern suchen.
Die Angehörigen leiden ein Leben lang Glücklicherweise ist jetzt der Bonner Smoothie-Hersteller True Fruits auf die Idee gekommen, auf seinen Flaschen mit den Gesundheitsgetränken Fotos und Informationen von Vermissten zu drucken. So wird eine erfolgreiche Idee wiederbelebt, und so nehmen die Bundesbürger*innen ab sofort schon beim Frühstück neben einem gesunden Getränk auch noch wichtige Informationen von Mitmenschen auf, denen es besonders schlecht geht. Denn die Angehörigen von Vermissten leiden, sofern diese nicht zurückkehren, ein Leben lang.
Lars Mittank (damals 28 Jahre) und Inga Gehricke (damals 5 Jahre) sind seit mehreren Jahren verschwunden. Die Familien der Vermissten – so heißt es in einer Pressemitteilung von True Fruits – wollen die Fälle wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken und nutzen die Flaschen des Smoothie-Herstellers als Vermisstenanzeige.
Die Flaschen mit den aufgedruckten Fotos werden in den Supermärkten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zu kaufen sein. Die Familien erhoffen sich mit der Aktion neue Hinweise auf den Verbleib der Verschwundenen. Entscheidende Hinweise werden mit jeweils 50.000 Euro belohnt.
Fünfjährige Inga: Spurlos im Wald verschwunden Inga Gehricke verschwindet im Alter von 5 Jahren am 02.05.2015 gegen 18:45 Uhr in Wilhelmshof, einem Ortsteil von Stendal in Sachsen-Anhalt. Sie ist dort mit ihrer Familie und Freunden im Diakoniewerk Wilhelmshof e. V. zu Besuch. Während die Familien das Abendessen vorbereiten, verschwindet Inga spurlos. Die Polizei vermutet zunächst, dass sie in den Wald gelaufen sei. Noch am Abend beginnt die Suche. Später sagen Zeugen aus, dass sie Inga zuletzt sahen, als sie in Richtung der Wohnhäuser lief.
Mysteriöses Verschwinden eines 28-Jährigen Über das mysteriöse Verschwinden des Urlaubers Lars Mittank habe ich vor einigen Zeiten auf FOCUS online unter der Überschrift „Jedes Jahr verschwinden Deutsche im Ausland – wenn Urlaub zur Katastrophe wird“ berichtet. Er verschwindet im Alter von 28 Jahren am 08.07.2014 gegen 10:10 Uhr am Flughafen Varna in Bulgarien, seinem letzten bekannten Aufenthaltsort. Zusammen mit seinen Freunden reist Lars am 30.06.2014 nach Bulgarien an den Goldstrand.
Am 06.07.2014 kommt es in der Nacht zu einer Auseinandersetzung mit zwei Männern, bei der er einen Schlag aufs linke Ohr erleidet, woraufhin er über Ohrenschmerzen und Hörverlust klagt. Am Montag, den 07.07.2014, sucht Lars einen Hausarzt auf, der ihm Antibiotika verschreibt, ihm Flugverbot erteilt und ihm eine Einweisung ins Krankenhaus gibt. Der Krankenhaus-Arzt nimmt ihn jedoch nicht im Krankenhaus auf.
Seine Freunde fliegen wie geplant abends zurück. Nach kurzer Übernachtung in einem Hotel fährt Lars zum Flughafen und sucht den dortigen Arzt auf. Den Behandlungsraum verlässt er nach 41 Minuten sehr plötzlich ohne erkennbaren Grund und rennt panisch vom Flughafengelände. Er lässt die Reisetasche, Handy und Ausweis liegen und der vorher kontinuierliche Kontakt zu seiner Mutter bricht ab. Seit dem Zeitpunkt ist Lars verschwunden. Er tritt seine gebuchte Flugverbindung und die alternative Busverbindung nach Deutschland nicht an.
Eine gute Marketingidee mit sozialem Output Sicher, die Smoothie-Suche ist eine gute Marketingidee und wirkt vermutlich verkaufsfördernd für das Unternehmen. Aber vor allem ist es eine hervorragende soziale Idee. Denn in Deutschland wird die Suche nach Vermissten sehr vernachlässigt. Nur vereinzelt veröffentlichen deutsche Medien Suchmeldungen nach Vermissten. Dabei werden jedes Jahr bei der Polizei mehr als 120.000 Bundesbürger*innen als vermisst gemeldet. Davon sind rund 90.000 Kinder und Jugendliche im Alter bis zu 17 Jahren.
Die Vermissten und ihre Hunderttausenden Angehörigen haben mehr Beachtung verdient. Sie stehen mit ihren Problemen weitgehend alleine da. Für die Zukunft wäre zu wünschen, dass nicht immer Jahrzehnte zwischen dem Engagement der Wirtschaft für die Suche nach Vermissten vergehen. Mehr kontinuierliches Engagement wäre zu wünschen durch Wirtschaftsunternehmen, aber vor allem auch durch die Kommunen. Die sollten endlich für Angehörige von Vermissten Beratungs- oder Kontaktstellen in ihren Gemeinde- und Stadtverwaltungen einrichten.
Leuchtturm-Projekt für Angehörige in Emden Ein solches Projekt gibt es bereits in der Stadt Emden. Dort berät und unterstützt man die Angehörigen vermisster Menschen aus der Region. Die Kontaktstelle für Angehörige vermisster Menschen hat Leuchtturmcharakter und ist bundesweit bisher einmalig. Sie leistet Unterstützung zur Selbsthilfe, gibt praktische Tipps und vermittelt Betroffene an Fachstellen und Experten.