Kriminalfälle aus NRW: Wie das Grundgesetz in Deutschland Mörder schützt Rhein-Sieg-Kreis | Verbrechen
Stand: 21.10.2024, 17:02 Uhr
Wenn ein Gericht einen Mörder freispricht, darf er trotz neuer Beweise nicht erneut angeklagt werden. Wie ist das möglich?
Von Josefine Upel
1. Der Fall Sandra D. Am 9. September 2012 verschwindet die 42-jährige Sandra D. aus Eitorf im Rhein-Sieg-Kreis spurlos. Ihre Kinder wissen bis heute nicht, wo ihre Mutter ist und was mit ihr passiert ist. Im Laufe der Ermittlungen gerät ihr Ehemann Michael K. (Name von der Redaktion geändert) in Verdacht. Er gesteht seiner neuen Freundin, seine Frau getötet zu haben. Das Bonner Landgericht verurteilt ihn wegen Totschlags zu elf Jahren Haft. Die Akte ist damit aber nicht geschlossen.
Michael K. geht in Revision und behauptet, er habe sein Geständnis nur erfunden, um seiner Freundin zu imponieren. Das Bundesverfassungsgericht prüft den Fall und spricht ihn am Ende frei. Im Zweifel für den Angeklagten, weil es an überzeugenden und zwingenden Beweisen fehlt. Bei WDR Lokalzeit MordOrte schauen wir uns die Hintergründe genauer an.
Der Fall bleibt ein Rätsel. Doch eines ist sicher: Sollten doch noch Beweise auftauchen, die direkt auf den Ehemann als Täter hinweisen, könnte er nicht mehr angeklagt und verurteilt werden. Wie das möglich ist, erklärt Rechtsanwalt Hans Reinhardt.
2. Wie ein Freispruch Täter schützt Lokalzeit: Warum kann Täter ein freigesprochener Täter in Deutschland nicht noch einmal angeklagt werden?
Hans Reinhardt: Das liegt am Doppelbestrafungsverbot. Das steht sogar im Grundgesetz: Nach Artikel 103 Absatz 3 darf niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden. Das gilt auch, wenn jemand freigesprochen wird. Wurde ein Angeklagter bereits einmal rechtskräftig verurteilt, darf er in der Regel nicht noch einmal zu seinem Nachteil vor Gericht gestellt werden.
Lokalzeit: Gilt das Doppelbestrafungsverbot auch, wenn jemand zu Unrecht verurteilt wurde?
Reinhardt: Nein, dann kann der Fall natürlich neu aufgerollt werden. Wenn es neue Beweise gibt, die für die Unschuld eines Verurteilten sprechen, kann das Verfahren wieder aufgenommen und die Person freigesprochen werden. Umgekehrt ist es schwieriger: Wenn ein Täter zu Unrecht freigesprochen wurde, kann das Verfahren nur in seltenen Fällen wieder aufgenommen werden.
Lokalzeit: Wann wäre das der Fall?
Reinhardt: Zum Beispiel, wenn ein Zeuge etwas Falsches ausgesagt und damit den Angeklagten entlastet hat. Der Klassiker ist auch das Geständnis. Wenn ein Täter freigesprochen wurde und nachträglich ein glaubhaftes Geständnis ablegt, kann er erneut angeklagt werden. In Amerika oder England ist das anders. Dort kann sich ein freigesprochener Täter hinterher auch in eine Fernsehsendung setzen und sagen, dass er es doch war, ohne etwas befürchten zu müssen. Das ist sogar so ähnlich schon passiert. Wenn es in Deutschland aber nur neue Beweise wie DNA-Spuren gibt, kann ein Verfahren nicht zu Ungunsten eines Täters neu aufgerollt werden.
Lokalzeit: Ist es nicht ungerecht, wenn ein Mörder nicht bestraft wird, obwohl es neue Beweise gegen ihn gibt?
Reinhardt: Das finden viele Menschen. Deswegen hat die Große Koalition im Jahr 2021 auch die Strafprozessordnung geändert. Danach war es zwei Jahre lang erlaubt, schwere Straftaten wie Mord zu Ungunsten eines Täters neu aufzurollen, wenn es neue Beweise gab. Damit wollte die Regierung mehr Gerechtigkeit schaffen. Doch im vergangenen Jahr hat das Bundesverfassungsgericht diese Reform für verfassungswidrig erklärt und ihr den Riegel vorgeschoben.
3. Warum das Verfassungsgericht ein "völlig falsches Signal" sendet Lokalzeit: Was ist der Grund für diese Entscheidung?
Reinhardt: Der Grund ist die Rechtssicherheit. Das Verfassungsgericht sagt: Was im Grundgesetz steht, kann ein normaler Gesetzgeber nicht einfach ändern. Auch wenn es ungerecht erscheint. Wir haben einen Rechtsstaat und Gerichte können sich nicht immer wieder mit denselben Fällen beschäftigen. Die Justiz stellt ihre eigenen Entscheidungen auch nur ungern in Frage. Und ein Verurteilter soll die Sicherheit haben, nicht noch einmal wegen derselben Tat vor Gericht zu kommen. Um das Doppelbestrafungsverbot zu kippen, müssten Bundestag und Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz ändern.
Lokalzeit: Welche Tragweite hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts?
Reinhardt: Das Urteil ist in der Praxis nicht sehr relevant. Bei Kapitalverbrechen wie Mord gibt es relativ wenige Freisprüche. Diese müssten dann noch ungerechtfertigt sein und durch neue Beweise aufgedeckt werden, damit die Entscheidung des Verfassungsgerichts zum Tragen kommt. Wenn es neue Beweise gibt, die zeigen, dass jemand anderes den Mord begangen hat, kann diese Person natürlich trotzdem verurteilt werden und die unschuldig verurteilte Person freikommen.
Lokalzeit: Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Gerichts?
Reinhardt: Ich finde sie nicht richtig. Opfer und auch die Hinterbliebenen haben einen Anspruch auf Gerechtigkeit. Die Entscheidung des Gerichts ist ein völlig falsches Signal. Ein Mörder darf sich nie sicher fühlen, nie.
ZitatHans Reinhardt: Das liegt am Doppelbestrafungsverbot. Das steht sogar im Grundgesetz: Nach Artikel 103 Absatz 3 darf niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden. Das gilt auch, wenn jemand freigesprochen wird. Wurde ein Angeklagter bereits einmal rechtskräftig verurteilt, darf er in der Regel nicht noch einmal zu seinem Nachteil vor Gericht gestellt werden.
Und das ist der Fehler, da die Kriminaltechnik immer weiter voranschreitet.
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