Am frühen Morgen Ungesühnter Mord: Vor 31 Jahren wurde Bruno Kappi in Weidenau erschlagen
Der ungesühnte Mord vom 15. Dezember 1992 geht wahrscheinlich auf das Konto von Neonazis. Rechtsextremismus ist und bleibt ein Problem in der Region. Das zeigt ganz aktuell etwa die widerliche Parole an der Flüchtlingsunterkunft in Wilgersdorf.
Andreas Goebel Andreas Goebel 15.12.2023, 15:47 Uhr
Siegen. „Bruno Kappi wurde von Neonazis ermordet: Warum sagen wir das so selbstbewusst?“, wirft Micha vom Antifa-Info-Café in den Raum. Das Pressegespräch fand vor einem Jahr in der Weidenauer Bücherkiste, einer Drehscheibe für politisch Interessierte aus dem eher linken Spektrum im Siegerland, statt.
Für Micha, der wegen seines Engagements weder mit vollem Namen noch mit seinem Foto in der Zeitung erscheinen möchte, hat nur ein Bruch in der Beweiskette dazu geführt, dass die beiden jungen Hauptangeklagten nach acht Verhandlungstagen vor dem Jugendstrafgericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden mussten.
Uniformierte Neonazis als „Prozessbeobachter“ Dabei passte eigentlich alles. Beide waren Mitglied in einer Neonazi-Gruppe, erschienen in Kluft zu den Prozessterminen, Sympathisanten waren unter den Zuschauern, beide waren verwickelt in teils schreckliche Übergriffe auf Migranten in anderen Städten.
Und alles vor dem Hintergrund von Pogromstimmung gegen „Ausländer“ Anfang der Neunziger in Deutschland: Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln, an diesen Ortsnamen klebt noch heute die Erinnerung an Hetze, Verfolgung, Gewalt und in einigen Fällen auch Mord.
Bruno Kappi erstickte an seinem eigenen Blut So wie an jenem dunklen Morgen des 15. Dezember 1992. Wie eine schwärende Wunde, die sich nicht schließen will, so sehen manche Menschen auch heute noch, 30 Jahre nach der schrecklichen Tat, den Mord an dem schwerbehinderten Bruno Kappi.
Natürlich sind wir alle so jung, dass das Verbrechen nicht in unsere Zeit fiel. Doch der Kappi-Mord ist wie ein Fanal, auch heute noch. Ann-Kathrin Peters, AStA Uni Siegen
Er starb 55-jährig, nachdem ihm mehrere Täter am Kaufhaus Wagener in Weidenau aufgelauert und ihn mit Tritten und Schlägen dermaßen traktiert hatten, dass er schwere Verletzungen in der Brust sowie am Kopf davontrug. Er erstickte an seinem eigenen Blut.
Drei Täter lauerten Kappi vor dem Siegerlandzentrum auf Bruno Kappi befand sich wie so oft auf dem Weg zur Arbeit. Frühmorgens hatte er sich von der Weidenauer Siedlung Münkershütten auf den Weg zur Dienststelle gemacht, der Bundeswehr-Standortverwaltung am Effertsufer in Siegen, wo er im Lager der Kleiderkammer arbeitete.
Gegen 4.30 Uhr, so rekonstruierten die Kriminalen später, führte ihn sein Weg durchs Siegerlandzentrum, wo es passierte.
Vor einem Kaufhaus kam es zu dem Überfall mit vermutlich drei Tätern. Bruno Kappi muss sich bei dem Überfall noch gewehrt haben. Die Mordkommission Hagen stellte an den Türen und der Gebäudefassade, wo die Mitarbeiterin eines Fachgeschäfts den leblosen Körper Kappis eine gute Stunde später gefunden hatte, etliche kleinere und größere Blutspuren fest.
Die Forensik kam zu dem Ergebnis, dass der Überfall gegen 4.30 Uhr stattgefunden hatte, das deckt sich mit der Wahrnehmung eines Zeugen, der um diese Zeit so etwas wie ein Stöhnen im Bereich des Tatorts meinte vernommen zu haben. Nur noch seinen Schwerbehindertenausweis trug Bruno Kappi bei sich. Von der Tasche mit persönlichen Gegenständen fehlte jede Spur.
Für sachdienliche Hinweise 2000 Mark ausgelobt Staatsanwaltschaft und Polizei suchten in dem Viertel nach weiteren Zeugen, die Medien berichteten ausführlich, und kurz darauf wurden Geldsummen ausgelobt, die zur Ergreifung der Täter führen sollten. Der Pächter der Weidenauer Bahnhofswirtschaft etwa, Hermann Alfermann, setzte 2000 DM zur Belohnung aus.
Nicht nur war der als scheu und friedliebend beschriebene Kappi Kunde bei ihm, der Wirt hatte selbst einmal erfahren, wie es ist, Opfer eines Überfalls zu sein. Ein weiterer Anwohner stellte 3000 DM in Aussicht, sollten die Täter durch Hinweise ermittelt werden.
Drei Siegener Skinheads im Visier der Staatsanwaltschaft Erst allmählich verdichteten sich die Ermittlungen der Behörden und ließen die Täterschaft dreier junger Neonazis aus Siegen, 17, 21 und 23 Jahre alt, wahrscheinlich werden.
Die Skinheads wurden von der Staatsanwaltschaft ebenfalls beschuldigt, am 17. Oktober 1992 in Hennef einen 32-jährigen Mann aus Sri Lanka körperlich schwer misshandelt und seinen Körper auf die Straße gelegt zu haben.
Die Staatsanwaltschaft unterstellte den stadtbekannten Rechtsradikalen, versucht zu haben, einen Menschen „aus niedrigen Beweggründen zu töten“. Besonders im Visier hatten die Behörden den 21-Jährigen Angeklagten: Gegen ihn erhob man bald Anklage wegen Mordes an Kappi. Beim Überfall dabei gewesen sei der Minderjährige, damals erst 16 Jahre alt. Im Januar 1994 mussten sie sich vor Gericht verantworten.
Belastungszeugen erinnern sich nicht Beide hatten bereits schwere ausländerfeindliche Straftaten begangen, der 17- bzw. zur Tatzeit 16-Jährige hatte wegen eines Überfalls auf einen chinesischen Gastdozenten in Siegen von der Jugendstrafkammer zwei Jahre zur Bewährung bekommen, weil man bei ihm angenommen hatte, er habe der Nazi-Szene den Rücken gekehrt.
Erst im Zuge der Recherchen stellte sich heraus, dass der Jugendliche auch in Hennef bei dem Verbrechen dabei gewesen war, außerdem gab es eine Beteiligung bei einem Überfall auf einen Wehrlosen in Wilhelmshaven.
Doch der Kappi-Prozess verlief für alle Personen auf der Seite des Rechts unbefriedigend. Alibis tauchten auf, Belastungszeugen widerriefen oder tischten ganz andere Geschichten auf. Am Ende wurde im Zweifel für die Angeklagten entschieden. Ein Verdacht bleibe, sagte der Richter. In Siegen gingen viele aus Protest gegen das Urteil auf die Straße.
Demo von der Siegbrücke nach Weidenau „Kante zeigen“ und gegen das Vergessen arbeiten wollen auch Ann-Kathrin Peters vom AStA der Uni Siegen, Samuel Rynio (Jugendparlament), Mitorganisator des Konzerts gegen rechts im Vortex, sowie Björn Eckert, DGB-Jugendreferent. „Natürlich sind wir alle so jung, dass das Verbrechen nicht in unsere Zeit fiel“, sagt Peters. Doch der Kappi-Mord sei wie ein Fanal, auch heute noch. Die Studierendenschaft allein habe 15.000 Euro für das Mahnmal beigesteuert, das in Planung sei (Siegener Bündnis für Demokratie).
„So etwas verjährt nicht, auch im Kopf nicht.“ AStA-Mitglied Felix erinnerte vor einem Jahr an den Brandanschlag auf Sama-Food am Obergraben 2021, an die Hetze des Dritten Wegs und an rassistische Beleidigungen internationaler Studenten, die immer wieder vorkämen.