Ermittlungsarbeit Zwei Mordfälle lassen Polizeibeamten in Essen keine Ruhe 31.05.2011, 09:00 Uhr • Lesezeit: 7 Minuten Von Kai Süselbeck
Essen. . Jeder Polizist hat einen alten Fall, den er immer wieder hervorholt, um ihn erneut zu überprüfen. In Essen sind es zwei Morde an älteren Frauen, die die Beamten nicht zur Ruhe kommen lassen - bei einer Aufklärungsquote von ansonsten fast 100 Prozent.
Die beiden Mordfälle könnten gegensätzlicher kaum sein. Eine mehrfache Millionärin wird in ihrer Villa erschlagen; eine mittellose Rentnerin verblutet in ihrer Kleinwohnung in Frohnhausen. Gemeinsam ist beiden Bluttaten, dass sie zu den wenigen Fällen gehören, die die Fahnder der Mordkommission noch nicht klären konnten. Obwohl sie in beiden Fällen eine klare Vorstellung von den mutmaßlichen Tätern haben: Beweisen können sie ihnen nichts.
„Wir haben bei Mord eine Aufklärungsquote von annähernd 100 Prozent“, sagt Erster Kriminalhauptkommissar Michael Weskamp, Chef des Kriminalkommissariates 11, das Todesfälle und Brandstiftungen aufklärt. „Manchmal liegen wir sogar über dieser Quote“. Das ist der Fall, wenn die Fahnder einen lange zurückliegenden Mord klären können. Jeder Beamte hat solch einen alten Fall, den er immer wieder hervorholt, um ihn erneut zu überprüfen: Gibt es neue Hinweise? Können moderne Methoden wie DNA-Analyse weiter helfen? Haben wir damals etwas übersehen?
Auf Diebstahl aufmerksam geworden Ein DNA-Treffer könnte Michael Weskamp helfen, seinen alten Fall zu lösen. Am 10. Oktober 2003 wurde die Rentnerin Cäcilia Johanna Lange in ihrer Wohnung an der Frohnhauser Führichstraße ermordet. Zeugenhinweise und die Spurenlage geben Weskamp eine relativ klare Vorstellung, was wohl passiert ist: Die Rentnerin ist einer Gruppe zum Opfer gefallen, die sich „deutschlandweit auf Haustürgeschäfte spezialisiert hat“, sagt Weskamp. Die Mitglieder vertreiben Kochtöpfe oder Besteck; sie schrecken aber auch vor Diebstählen nicht zurück: Mit dem Zetteltrick oder als falsche Mitarbeiter verschaffen sie sich Zutritt zu den Wohnungen von Senioren. Einer lenkt die Bewohner ab, ein zweiter schleicht sich ein und durchsucht die Wohnung nach Geld und Wertsachen.
Genau das ist in der Wohnung von Cäcilia Lange passiert an jenem Mittag, da sind sich die Fahnder sicher. Der zweite Täter hatte die Wohnung zur Hälfte durchsucht, als die Seniorin auf ihn aufmerksam wurde. Das war ihr Verhängnis: Der oder die Täter schlugen sie mit einem Schlagmesser nieder. Sie starb, wie die Obduktion später ergab, an Verbluten und stumpfer Gewalt gegen den Hals.
Verdächtigem konnte nichts nachgewiesen werden Einen der Täter glaubt Weskamp zu kennen. Ein 53-Jähriger aus Kaiserslautern, dessen Wagen vor der Tat mehrfach an der Führichstraße gesehen worden war. Er ist wegen krimineller Haustürgeschäfte bereits verurteilt. „Er ist ein Mann der guten Verkleidung“, sagt Weskamp. „Wir wissen, dass er bei der Tat präsent war. Wir können ihm aber bisher keine aktive Rolle bei der Tötung zuweisen.“
80 Personen haben die Fahnder bereits ins Visier genommen, die „in wechselnden Zusammensetzungen mit ihm zusammen Straftaten begingen“; immer auf der Suche nach dem zweiten Mann, von dem die Fahnder am Tatort eine DNA-Spur gesichert haben. „Das ist unsere Hoffnung. Nach der Essener Tat hat es von zwei weiteren Tatorten Treffer gegeben“, sagt Weskamp. Manchmal muss eben Kommissar Zufall helfen: „Es gibt die ungewöhnlichsten Zufälle. Letztendlich bringen uns diese Zufälle weiter.“
DNA-Spuren werden Hauptkommissar Frank Vogt nicht weiter helfen. Er vertieft sich immer dann, wenn keine aktuellen Mordfälle anliegen, als Leiter der Ermittlungen in die Akten des Mordfalles Lieselotte Hohlmann. Die mehrfache Millionärin (78) war Inhaberin eines Haushaltswarengeschäftes an der Viehofer Straße und lebte seit dem Tod ihres Mannes 1987 zurückgezogen in ihrer damals noch einsam gelegenen Villa an der Charlottenstraße in Burgaltendorf. „Das Grundstück glich einer Festung“, sagt Vogt: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Frau Hohlmann einen Fremden empfangen würde, war verschwindend gering. Es war bekannt, dass sie nicht jeden eingelassen hat.“
Dem Mörder die Tür geöffnet Dennoch hat die Witwe an jenem 27. August 1997 ihrem Mörder die Tür geöffnet. Ihre Freundin Christa Pieper macht sich Sorgen um Lieselotte Hohlmann, weil die nicht ans Telefon geht. Sie setzt sich ins Auto, fährt zur Villa, klingelt und klopft an der Toreinfahrt. Als alles still bleibt, schlägt Christa Pieper bei den Nachbarn Alarm. Als sie durch ein Kippfenster ins Haus einsteigen, finden sie Lieselotte Hohlmann blutüberströmt auf der Treppe hinter der Eingangstür. „Der Täter hat offenbar in rasender Wut alles, was er im Flur finden konnte, auf ihrem Kopf zerschlagen“, sagt Vogt später. Unter den mutmaßlichen Tatwaffen war auch ein dreiteiliger verzierter Spazierstock.
Als Lieselotte Hohlmann gefunden wird, ist sie schon seit Stunden tot, ergibt die Obduktion. Frank Vogt ermittelt inzwischen seit zehn Jahren in dem alten Fall und glaubt, die Tatzeit mit elf Uhr halbwegs genau bestimmen zu können. Zu diesem Zeitpunkt hat eine Nachbarin einen Schrei gehört. Im Datum kann sie sich nicht irren, versichert sie der Polizei: „An diesem Tag hat meine Tochter den Führerschein gemacht.“ Einbruchsspuren gibt es nicht. Die Beute ist überschaubar: Aus Lieselotte Hohlmanns Tasche fehlen bis zu 10.000 Mark und zwei Tagebücher. Dieser Umstand sollte später für die Fahnder noch wichtig werden.
Frank Vogt stößt in den alten Akten und bei seinen Ermittlungen auf eine Merkwürdigkeit wenige Tage vor dem Mord. Zeugen berichten, gleich zweimal habe in der einsamen Straße ein Daimlerfahrer nach der Villa der Witwe gefragt. Bisher aber hat diese Spur nirgendwohin geführt.
Im Visier der Ermittler, wer vom Tod profitierte
Deshalb richtet sich der Verdacht gegen die Menschen, die von Lieselotte Hohlmanns Tod profitieren. Zu ihnen zählt Axel B., damals 31 und seit sechs Monaten rechtskräftig Adoptivsohn von Lieselotte Hohlmann. „Natürlich stand ich als Erbe unter Tatverdacht“, sagte B. 2008 der WAZ. Er sei am 26. August mit seinen Eltern in Paderborn gewesen: „Dafür gibt’s Zeugen.“ Am Mordtag habe er für Lieselotte Hohlmann „geschäftliche Dinge“ erledigt.
Ein Verdacht bleibt. Frank Vogt hörte Zeugen, die wissen wollen, Lieselotte Hohlmann habe Anstoß genommen am Lebenswandel des Adoptivsohns. „Die Gründe für solche Behauptungen sind Neid und Missgunst“, sagt dazu Axel B.’s Vater. Fest steht wohl: Unmittelbar vor ihrem Tod hat Lieselotte Hohlmann ihren Notar zu sich bestellt: „Sie wollte Dinge ändern“, sagt Frank Vogt. Ihr Testament? Die Antwort steht wohl in den verschwundenen Tagebüchern.