Ungelöste Kriminalfälle: Anfang der 1970er Jahre ist Würzburg Schauplatz mehrerer Gewaltverbrechen, die bis heute ungeklärt sind. Zum Start unserer Serie erinnern wir an die beiden grausamen Morde in der grünen Lunge der Domstadt.
Der Ringpark gehört zum Schönsten, was Würzburg zu bieten hat. Er ist so etwas wie die grüne Lunge der Stadt – eine dreieinhalb Kilometer lange Anlage, die sich mit dichtem Buschwerk und Bäumen vom hektischen Verkehr und den Häuserwänden rundherum abgrenzt. Anmutig schlängelt er sich von der Löwenbrücke zum Berliner Ring und von dort über den Hauptbahnhof zur Friedensbrücke.
Tagsüber spielen hier Kinder. Jogger und Radfahrer sind unterwegs. So mancher Würzburger sucht in der Mittagspause ein wenig Ruhe im Schatten der Bäume, und nachts treffen sich zwischen den Bäumen auch Liebespaare.
Viele wissen freilich nicht, dass der Ringpark auch Schauplatz zweier Morde ist, die bis heute nicht aufgeklärt sind und um die sich mancher Mythos rankt. Das erste Opfer entdeckten zwei Passanten, als sie am Morgen des 7. Dezember 1970 durch den Ringpark liefen. Nicht weit vom Bahnhof, etwa in Höhe der Klinikstraße, bot sich ihnen ein grauenhafter Anblick: Ein Mann im Trenchcoat lag röchelnd und blutüberströmt auf einer Parkbank. Die Spuren ließen den Schluss zu: Er war auf dem sandigen Weg davor von hinten brutal mit mehreren Schlägen niedergestreckt worden. Mit letzter Kraft schleppte er sich zu der Parkbank. Sein Todeskampf dauerte Stunden.
Rasch ermittelte die Polizei, dass es sich um den 22-jährigen Studenten Bernhard Kreb aus Waltenhofen (Lkr. Kempten) handelte. „Kreb wird allgemein als ein ruhiger und ordentlicher Student geschildert“, hieß es damals. Er hatte angeblich eine Freundin in Bamberg, wohnte in der Thomas-Morus-Burse und studierte seit sechs Semestern in Würzburg Medizin. Ihm selbst konnten die Ärzte an jenem Morgen im Dezember 1970 nicht mehr helfen. Kreb starb nach der Einlieferung ins Krankenhaus.
„Die Täter waren Rocker.“ Unbekannter Anrufer bei der Polizei
Offenbar hatten der oder die Täter mit einem 45 Zentimeter langen Stützstempel, wie sie auf vielen Baustellen in der Stadt zum Abstützen von Baugruben verwendet wurden, mehrfach von hinten auf ihn eingeschlagen. Die Tatwaffe wurde 70 Meter vom Tatort entfernt im Gebüsch gefunden.
Die Polizei fand in der Nähe auch einen Schlüsselbund, das Futter der rechten Hosentasche des Opfers hing heraus und auch seine übrigen Taschen waren leer, so dass die Polizei von der Möglichkeit eines Raubmordes ausging.
Allerdings hatte sich der Fischzug dann nicht gelohnt, der Student trug nie größere Summen mit sich herum, hatte aber zu Hause 250 Mark liegen gehabt. Und die Täter ließen ihm auch seine Armbanduhr, eine „Certina“-Automatik Town & Country mit Viereckgehäuse.
Viele Rätsel Hatten die Täter sie in ihrer Hast vergessen? Der Tod des Studenten gab der Polizei viele Rätsel auf. Sie versuchte herauszubekommen, wo Kreb am Abend vor dem Angriff auf ihn zwischen 22.30 und 1 Uhr morgens seine Zeit verbracht hatte, ehe er durch den Ringpark am Bahnhof ging – weit weg von seinem Zuhause in der Nähe der Stadtmensa. Das Landeskriminalamt setzte 2000 Mark Belohnung aus – vergeblich. Dann rief ein Unbekannter bei der Zeitung an: „Es gibt Zeugen für den Mord an dem Studenten Bernhard Kreb“, versicherte er. „Die Täter waren Rocker.“ Junge Leute hätten die Tat beobachtet, würden aber die Rache der Rocker fürchten, falls sie die Polizei verständigen – noch dazu, weil mehrere von ihnen verheiratet seien.
Doch er meldete sich nicht mehr bei der Polizei – obwohl die Ermittler Vertraulichkeit versprachen. Eine andere heiße Spur endete am Tor der US-Kaserne in Wertheim: In der Nacht zum 7. Dezember wollen Zeugen etwa zur Tatzeit einen Hilfeschrei gehört haben. Dann sahen sie drei amerikanische Soldaten vom Omnibusbahnhof (also aus Richtung des Tatorts) kommend, den Bahnhofsvorplatz in Richtung Taxistand überqueren. Sie hatten es nach Zeugenaussagen sehr eilig, rannten, und der Eindruck des Zeugen war: Nur vom Marsch über den Platz allein kann ihnen die Luft nicht ausgegangen sein.
Auch in den US-Kasernen wurde ermittelt Die Polizei ermittelte, dass die drei die Fahrt im Taxi nach Wertheim mit Dollars sowie zwei zehn-Mark Scheinen bezahlt hatten. Die Kripo hätte den Taxifahrer gern jenen Männern gegenübergestellt und sie befragt, zumal einer von ihnen ungewöhnlich groß gewesen sein soll. Doch ohne konkreten Tatverdacht kamen sie zunächst nicht hinein. Den US-Streitkräften war der Wirbel darum zwar mächtig unangenehm. Offiziell zeigten sie sich zur Zusammenarbeit bereit, doch ihre internen Ermittlungen in der Kaserne blieben ergebnislos – wie die Suche nach dem Mörder von Bernhard Kreb.
Das Klein-Nizza ist so etwas wie das Herz des Ringparks: Vogelkäfige lehnen am Rande, um die Ententeiche herum führen feste Wege, auf denen gerne Familien zum Sonntagsspaziergang unterwegs sind. Doch vom Weg aus wäre die Leiche, die in den Büschen hart am Rande der Mauer lag, vielleicht gar nicht gefunden worden. Aber im höher gelegenen Hofgarten war ein Kind am Nachmittag mit seinen Eltern unterwegs und balancierte auf der Mauer – und sah den Toten unten zwischen den Zweigen liegen. Der Tote lag auf dem Bauch, mit dem Kopf zu der Mauer, die Klein-Nizza vom Hofgarten trennt. Und der Anblick war so eindeutig, dass die Polizei sofort von einem Verbrechen ausging. „Für einen Sturz von der fünf Meter hohen Mauer liegen keine Erkenntnisse vor“, sagte ein Polizeisprecher.
Nicht das erste Mal war der Ringpark Schauplatz eines Verbrechens Seine Kollegen waren beunruhigt, der Ringpark war bereits zweimal zuvor Schauplatz ungeklärter Verbrechen gewesen: Da war der drei Jahre zurückliegende Mord an dem Studenten Bernhard Kreb. Und da war ein weiterer Mordversuch, der im November 1973 erst eine Woche zurücklag: Am Husarenwäldchen, direkt an der Treppe zum Kriegerdenkmal, hatten Passanten am Samstag zuvor gegen 23 Uhr den 28-jährigen italienischen Gastarbeiter Stefano K. (Name von der Redaktion geändert) gefunden. Auch er hatte schwere Kopfverletzungen, konnte nach einer Operation gerettet werden, aber keine Angaben zu dem Überfall machen.
Auch der Tote an der Mauer im Klein-Nizza war ein Gastarbeiter: der Türke Nuri Ünal (34) war bei der Bürgerbräu in der Zellerau als Hilfsarbeiter beschäftigt, war verheiratet und Vater zweier Kinder. Nach einer Obduktion stand fest: Er war nicht von der Mauer gefallen, sondern mit einem scharfkantigen Werkzeug erschlagen worden.
Von wem und warum, blieb unklar. Ünal hatte an jenem Freitagabend in der Nähe des Bahnhofes gegen 19.30 Uhr einen türkischen Freund getroffen, dann aber wieder verlassen. Er kehrte nicht in seine Unterkunft zurück, so dass die Polizei davon ausgeht, dass er bereits am späten Freitagabend ermordet wurde. Und im Unterschied zu dem Italiener hatte bei ihm niemand Geld gesucht. Seine Taschen waren nicht umgestülpt, Geld und andere Wertgegenstände wie eine Armbanduhr waren noch vorhanden.
Es herrschte Unruhe in der Stadt Die Unruhe war danach beträchtlich in Würzburg. Denn der Park rund um das Husarenwäldchen galt auch als Treffpunkt für Homosexuelle, die hier in aller damals üblichen Heimlichkeit ihr nächtliches Vergnügen suchten. Machte jemand Jagd auf sie? Plötzlich hieß es, auch der Student Kreb sei häufig in homosexuellen Kreisen verkehrt.
Kripo und homosexuelle Studentengruppe gingen mit Flugblättern auf die Straße. Die Polizei bat Schwule, die selbst überfallen worden sein könnten, sich aber nicht zur Polizei getraut hatten, einschlägige Beobachtungen mitzuteilen – auch durch anonyme Zuschriften, per Telefon oder über einen Mittelsmann. Die Studenten baten die Öffentlichkeit, durch Toleranz zu beweisen, dass Homosexuelle nicht länger in die Anonymität gefährlicher Parks fliehen müssen. Man schätzte damals, dass laut Statistik vier Prozent der Bevölkerung homosexuell veranlagt seien „und im Dunkel Kontakte suchen müssten aus Angst, verachtet und verstoßen zu werden“.
Aber dies brachte ebenso wenig Hinweise wie die 500 Mark Belohnung für den Mordversuch oder die 3000 Mark für einen Tipp zu dem Mord an Ünal. Vier Jahre später spekulierte ein inzwischen pensionierter Kriminalbeamter: er vermute den Mörder Ünals in einer Gruppe jugendlicher Krimineller im Ringpark, die sich auf das „Ausnehmen“ Schwuler spezialisiert hatten. Sie hätten sehr auffällig reagiert, seien auf das Verbrechen im Klein-Nizza überhaupt nicht ansprechbar gewesen.
Beweise für diese Behauptung fanden sich nicht, Ünal hatte Frau und zwei Kinder in der Türkei. Doch die Situation, in der die Opfer gefunden wurden und das offenbar gleiche Tatwerkzeug im Fall der beiden Gastarbeiter – eine Bauklemme – ließen die Polizei darauf schließen: Es könnte sich um die gleichen Täter handeln – und sie sind bis heute unbekannt.