OLDENBURGER ÜBERNIMMT BEHANDLUNG Vergewaltiger schlug Opfer Zähne aus Weißer Ring unterstützt Opfer – Bei Gewalttat mehrere Zähne verloren
Mehrere Zähne verloren, andere abgebrochen: Nach der brutalen Tat wartet die Frau zunächst vergeblich auf die Hilfe der Krankenkasse. Doch dann erfährt ein Oldenburger Zahnarzt von ihrem Leid. Sabine Schicke Thomas Husmann
OLDENBURG Jeden Morgen beim Zähneputzen wurde die junge Frau daran erinnert, was der Albtraum eines jeden Mädchens und einer jeden Frau ist: Sie war vergewaltigt worden. Tagsüber gab es nur wenige Momente, in denen sie dieses Gefühl vergessen, eher verdrängen konnte, aber ganz weg war es wohl nie.
Besonders nicht vor dem Spiegel. Wenn sie den Mund öffnete, war es als Makel nicht zu übersehen. Es half einfach kein Duschen und kein Zähneputzen. Der Täter war bei der Vergewaltigung so unglaublich brutal vorgegangen, dass die Frau gleich mehrere Zähne verloren hatte und andere teilweise oder ganz abgebrochen waren. Wie gebrandmarkt fühlte sie sich. Und die Stümpfe erinnerten sie an die Schmach dieser Tat, wenn sie mit der Zunge an den Zähnen entlang spürte oder einfach nur von einem Butterbrot abbeißen wollte.
„Die Ermittlungen gegen den Täter laufen noch“, berichtet Petra Klein. Sie leitet die Außenstelle Oldenburg des Weißen Rings, der sich um Opfer von Straftaten kümmert und sie auch schützt. Daher sollen die Einzelheiten der Tat einstweilen im Dunkeln bleiben. Wenn es der Frau nun doch besser geht, dann liegt es einzig daran, dass ihr sehr menschlich und unbürokratisch geholfen wurde, den offensichtlichen Makel zu beseitigen. Balsam für die Seele des malträtierten Opfers.
Die Krankenkassen übernehmen unmittelbar nach einer Tat nur eine Mindestversorgung, Implantate werden zum Beispiel nicht sofort bezuschusst. Die Kassen warten zunächst einmal die rechtmäßige Verurteilung des Täters ab. Auch werde von den Versorgungsämtern geprüft, ob der Schaden tatsächlich eine Folge der Tat ist, erklärt Petra Klein, die etwa vom Serviceclub der Zonta-Frauen für ihre Leistung bereits ausgezeichnet worden ist.
Das alles hätte vermutlich Jahre gedauert. Petra Klein ist Patientin von Zahnarzt Dr. Erhard Reichelt. Ihm erzählte sie, selbstverständlich anonymisiert, die Geschichte von der Frau, deren Gebiss bei der brutalen Vergewaltigung schwer beschädigt worden war. Reichelt reagierte sofort und bot seine Hilfe an.
Er behandelte die Frau nicht nur kostenlos, sondern setzte sich auch noch für weitere unbürokratische Hilfe ein: Auch die zahntechnischen Werkstätten in der Zeughausstraße und die Implantatefirma Straumann verzichteten auf Honorare und Materialkosten.
„So konnte der Frau schnell geholfen werden“, freut sich Petra Klein. Auch der psychologische Effekt sei nicht zu unterschätzen. Die Frau fühlt sich als Opfer anerkannt. In den Prozessen vor Gericht sei das nicht selbstverständlich, schildert Petra Klein ihre Erfahrung. Das Strafrecht sei sehr täterorientiert, die Opfer würden vor Gericht eher als Zeugen betrachtet.
In einer Pressemitteilung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KfN) schreiben der Direktor Prof. Dr. Christian Pfeiffer, ehemaliger niedersächsischer Justizminister, und Projektleiterin Deborah Hellmann zum Thema Vergewaltigung „Die Schwächen der Strafverfolgung – das Leiden der Opfer“. Sie erkennen bei einer bundesweiten Analyse zur Strafverfolgung der Vergewaltigung den Trend, dass vor 20 Jahren 21,6 Prozent der Anzeige erstattenden Frauen die Verurteilung des Täters erlebten, 2012 hingegen nur noch 8,4 Prozent.
Das Oldenburger Vergewaltigungsopfer bekam den Kontakt zum Weißen Ring von der Polizei. Und Petra Klein konnte der Frau nicht nur psychisch helfen, sondern gemeinsam mit ihrem Zahnarzt Dr. Erhard Reichelt auch dafür sorgen, dass die Frau beim Blick in den Spiegel auch wieder an anderes denken kann.