Cold Cases Wie klären Sie jahrzehntealte Kapitalverbrechen auf, Frau Marquardt?
Annette Marquardt brennt für ungelöste Altfälle, sogenannte Cold Cases. Die Staatsanwältin setzt auf junge Gehirne und neue Technologien. Warum Erinnerungen von Zeugen oft trügen und wie »Aktenzeichen XY« trotzdem hilft.
Ein Interview von Florian Kistler 19.02.2024, 13.43 Uhr
SPIEGEL: Frau Marquardt, Sie arbeiten seit 1999 als Staatsanwältin und kümmern sich seit über zehn Jahren um die Bearbeitung von Kapitaldelikten, die weit zurückliegen. Welcher Altfall bewegt Sie heute noch?
Marquardt: Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Mord aus dem Jahr 1984. Ein damals 49-jähriger Angler wurde abends in Nienburg beim Würmer sammeln erschlagen. Bis 2017 kamen wir im Fall nicht entscheidend voran. Durch »Aktenzeichen XY« haben wir neue Hinweise bekommen, die daraufhin zu einer Festnahme führten. Ein besonderer Fall, nicht wegen der Tat an sich, sondern den Problemen, die sich bei der Hauptverhandlung ergaben.
SPIEGEL: Was waren die Schwierigkeiten?
Annette Marquardt: Der Beschuldigte war zwar schon in den Achtzigerjahren in dieser Sache mehrmals vernommen worden, also bekannt. Es war 35 Jahre später aber nicht mehr klar, ob er rechtmäßig belehrt worden war und wie er seine Aussagen den neuen Beweisen gegen ihn immer wieder anpasste. Die Beamten erinnerten sich nicht mehr an die Vernehmungen. Nur eines von vielen Problemen bei diesem Prozess. Das Gericht hatte Zweifel und sprach den Angeklagten frei.