In Sachsen-Anhalt werden Jahr für Jahr rund 1500 sogenannte Kapitalverbrechen begangen - darunter rund 100 Tötungsdelikte. Die meisten Fälle werden aufgeklärt. Doch bleiben immer noch einige Straftaten übrig und die Täter unerkannt. Die Volksstimme nimmt sich in ihrer Sommerserie gemeinsam mit Staatsanwaltschaft und Polizei einiger dieser Delikte an und fragt: Wer kann Hinweise geben?
Halle. 27. Mai 1998, kurz vor 3 Uhr in der "Flamingo"-Bar in Halle - nur einen Steinwurf vom Landgericht der Saalestadt entfernt. Ein Etablissement, das offiziell als Bar firmiert, jedoch bekannt dafür ist, dass man dort auch "Damenbekanntschaften" machen kann.
Es poltert draußen an der verschlossenen Eingangstür. Bardame Sindy, die im vorderen Bereich der ehemaligen "Gerichtslaube" in einem der schweren Ledersessel sitzt und sich gerade mit einem Gast unterhält, schüttelt verwundert den Kopf. Dann steht sie aber doch auf und geht die wenigen Schritte durch den Raum mit der Schaufensterpuppe, die lediglich mit schwarzer Unterwäsche bekleidet ist, bis zum Eingang.
Sie schaut durch die kleine Türklappe und sieht draußen, schwach erhellt von der Leuchtreklame mit der Schrift "Bar - Tag Nacht", zwei Männer stehen. Sie lässt den Riegel zurückschnappen und drückt die Tür einen Spalt nach außen auf.
Im selben Moment packt sie einer der späten Gäste am Oberarm und schiebt sie zurück in die Bar. Dabei spricht der Mann "südeuropäisch", wie Sindy später aussagen wird.
Amerikaner wollte Bardame beschützen
Die Bardame empfindet, dass sie "herabwürdigend angesehen" wird. Und auch ihr Gast, der Amerikaner Shawn Flamma, scheint die Sache so zu sehen. Der 24-Jährige, der aus Kalifornien stammt, steht auf und bewegt sich auf die beiden Männer zu, um die aus seiner Sicht rüde behandelte Bar-Mitarbeiterin zu beschützen. Sindy, die eine Auseinandersetzung befürchtet, ruft dem Amerikaner zu: "No problems, Shawn" (keine Probleme, Shawn).
Flamma lässt sich davon jedoch nicht abhalten und geht auf die Männer zu. Als er noch etwa eineinhalb Meter vor demjenigen steht, der die Frau festhält, tritt dieser nach dem Amerikaner, ohne ihn jedoch zu treffen.
Es kommt zu einer Rangelei zwischen den Männern und Flamma. Dabei stößt derjenige, der zuvor Sindy festgehalten hatte, dem Amerikaner ein Messer in den Rücken. Die Bardame nutzt diese Situation aus, um sich in Sicherheit zu bringen.
Später von der Kriminalpolizei befragt, wird die Bar-Angestellte aussagen, dass sie kein Messer in der Hand des Täters gesehen habe. Lediglich eine "Bewegung mit der rechten Hand gegen den Oberkörper des Amerikaners ".
Sindy läuft nach hinten, wo die Chefin ihr Büro hat. Aufgeregt ruft sie: "Vorne gibt es Ärger. Die haben eine Waffe!"
Zurück im Bar-Raum sieht sie den Amerikaner blass und leicht nach vorn geneigt stehen. Er presst beide Hände gegen seine Brust. Von den beiden Männern ist nichts mehr zu sehen.
Sindy stützt den Verletzten, aus dessen linkem Ärmel Blut läuft, bis in einen der Ledersessel.
Die Bar-Chefin telefoniert mit der Polizei und dem Notarzt. Sindy, die ausgebildete Arzthelferin ist, kümmert sich derweil um den Stöhnenden. "Hol Eis!", ruft sie ihrer Chefin zu und schneidet das T-Shirt des Schwerverletzen auf, weil sie es dem Amerikaner nicht über den Kopf ziehen kann.
Kurze Zeit später wird Flamma in die Klinik gefahren. Ihm werden viereinhalb Liter Blut aus der Brusthöhle abgesaugt. Obwohl er mehrere Blutkonserven bekommt, stirbt er noch auf dem Operationstisch.
Die Rechtsmedizin der Universität Halle stellt als Todesursache einen "13 Zentimeter tiefen Stich in die linke Rückenseite mit Verletzung des Lungenlappens" fest.
Ein Stich in die rechte Brust hat nur Haut und Muskel angeritzt.
Die Verletzungen an Ellenbogen und Handgelenk links seien sogenannte Abwehrverletzungen, heißt es im Sektionsprotokoll.
Die Ermittlungen der Polizei bringen kaum Erfolge. Selbst zur Person des Opfers ist die Erkenntnislage recht dünn. Flamma gilt in der "Flamingo"-Bar als Stammgast. Allerdings weiß auch dort niemand genau, womit er seine Brötchen verdient hat. Die Kripo geht davon aus, dass der Joblose, der zuvor in Deutschland einige Zeit auf Montage unterwegs gewesen war, vom Geld seiner Verlobten lebt.
Zwei Kosovo-Albaner als Tatverdächtige
Sicher ist nur, dass der Mann mit dem Alias-Namen "Shawn Gigante Videos" und der auffälligen Tätowierung am rechten Oberarm "Doddy Celsea Girl" am 21. Mai nach London geflogen war und einen Tag später wieder auf dem Flughafen Leipzig-Halle gelandet ist. Am 24. Mai wollte er erneut an die Themse fliegen.
Die Tat soll kaum mehr als eine Minute gedauert haben. Deshalb sind auch die Aussagen zum Ablauf des Geschehens nicht sehr ergiebig.
Trotzdem geraten zwei Männer aus dem ehemaligen Jugoslawien - Kosovo-Albaner - in Verdacht. Die beiden werden dann auch wirklich als Beschuldigte verhört. Doch die Kriminalpolizei muss die Polizeibekannten bald wieder aus ihrer Verdächtigenliste streichen. Beide Männer haben ein Alibi. Staatsanwalt Klaus Wiechmann: "Die Ex-Jugoslawen lagen mit anderen Ausländern im Streit. Deshalb haben diese Leute die Männer aus dem einstigen Jugoslawien angeschwärzt".
Die Personenbeschreibung, die von den Gästen des Lokals, speziell von Bardame Sindy, stammt, weist Täter 1 als 1,90 Meter großen Mann mit lockigen, schulterlangen Haaren aus. Seine Figur soll schlank gewesen sein. Geschätztes Alter: 25 bis 30 Jahre. Zur Bekleidung ist lediglich bekannt, dass der Betreffende eine blaue Jeans angehabt haben soll.
Täter 2 ist 1,80 Meter groß. Die Haare seien schwarz, glatt und ebenfalls länger gewesen. Die Bekleidungsbeschreibung ist in diesem Fall etwas ausführlicher: schwarze Lederjacke, rotes T-Shirt, blaue Jeans.
Die "Flamingo"-Bar in der Gustav-Anlauf-Straße in Halle im Mai 1998. Foto: Polizei
Der erstochene Amerikaner Shawn Flamma.Rechts: Offiziell firmierte das "Flamingo" als "Nacht-Bar". Doch die Ausgestaltung der Räume machte deutlich,... Quelle: Foto: Polizei
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