VON MICHAEL TEMPEL Bis Heiligabend öffnet die MZ täglich ein Türchen. Heute: Ein Blick in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zu bislang ungelösten Kriminalfällen.
HALLE (SAALE)/MZ.
Jörg H. hat den Mann, der seine Freundin attackiert hatte und dem er hinterhergelaufen war, beinahe eingeholt. Plötzlich dreht sich der Unbekannte um und erschießt den 20-jährigen H. Der Musikstudent hat keine Chance. Er stirbt noch am Tatort. Zugetragen hat sich dieser Mord in der Merseburger Straße in Halle am 11. Mai 1994. Von dem Täter fehlt bis heute jede Spur. Wie dieser schlummern in den Aktenschränken der Staatsanwaltschaft mehrere schwere ungelöste Kriminalfälle. Behördensprecher Klaus Wiechmann versichert jedoch, dass diese Verbrechen keinesfalls vergessen sind.
15 Ordner füllt der Fall Jörg H. "Die Ermittlungen zu dem Mord sind zwar formell eingestellt, die Akten werden aber immer mal vorgeholt und von bislang unbeteiligten Kollegen durchgesehen", sagt Wiechmann. So solle geprüft werden, ob nicht doch ein wichtiger Fakt übersehen worden ist und ob die Untersuchungen wieder aufgenommen werden können. Die Ermittler sind trotzdem nicht weiter gekommen - obwohl seinerzeit auch zahlreiche Spuren und Hinweise verfolgt worden waren. "Die einzige Zeugin war H.s Freundin", so Wiechmann. Auch die Mordwaffe, ein Revolver Kaliber 38, sei seitdem (bei anderen Vergehen) nicht wieder in Erscheinung getreten.
In jener Nacht verabreden sich H. und seine damals 17-jährige Freundin nach einem Kneipenbesuch in der Wohnung des Studenten. Nachdem sie aus der Straßenbahn gestiegen war und den Hauseingang in der Emil-Fischer-Straße in der "Buna-Siedlung" erreicht hat, greift sie der Unbekannte von hinten, hält ihr den Mund zu und zischt: "Sei ruhig!" Nur wenig später kommt H., der mit dem Fahrrad gefahren war, hinzu. Der Täter ergreift die Flucht, Jörg H. verfolgt ihn in Richtung Merseburger / Ecke Theodor-Neubauer-Straße. Der dort abgefeuerte Schuss durchbohrt den Köper des 20-Jährigen und bleibt in seinem Geigenkasten, den er auf dem Rücken trägt, stecken. Die Ermittler sprechen deshalb auch vom "Geigenkasten-Mord".
Wiechmann: "Es ist für Polizisten und Staatsanwälte unbefriedigend, wenn ein solcher Fall ungeklärt bleibt. Schließlich lässt so etwas die Beamten nicht kalt." Ähnlich geht es den Ermittlern im Zusammenhang mit der seit 1998 vermissten Mandy Schmidt. Auch ihr inzwischen zehn Aktenordner umfassender Fall wird laut Wiechmann regelmäßig zur Hand genommen: Die damals 13-jährige Hallenserin wird an jenem Ostersamstag an der Tankstelle an der Ecke Merseburger / Dieselstraße zum letzten Mal gesehen. Dort steigt sie in das Auto ihres Schwagers Falko W. Dieser wird zwar 1999 wegen sexuellen Missbrauchs des Mädchens zu mehreren Jahren Haft verurteilt. W. beteuert jedoch, nichts mit Mandys Verschwinden zu tun zu haben. Das Gegenteil kann ihm auch nie nachgewiesen werden.
Wo ist Mandy? Was ist ihr widerfahren? Es gibt keine Antworten. Eine Leiche wurde nie gefunden. "Ich gehe davon aus, dass Mandy tot ist, ohne dass ich es beweisen kann", sagt Wiechmann.