Mord in Solingen: Wer besuchte Vitek C. zuletzt? Von Hans-Peter Meurer
Solingen. Es gibt Vermutungen, aber konkrete Beweise, die einen dringenden Tatverdacht zum Tötungsdelikt von der Eckstraße untermauern, gibt es bislang noch nicht: Weiterhin von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt bleibt daher die Wohnung des Solingers Vitek C. auf der Eckstraße.
Dort ist der 55-Jährige in der Nacht zum vergangenen Freitag gewaltsam zu Tode gekommen. Dies hat das Ergebnis einer Obduktion des Toten in der Düsseldorfer Gerichtsmedizin belegt.
Einbruchsspuren gibt es nicht und es steht fest, dass der Auffindeort des 55-Jährigen auch Tatort ist. Darum sind immer noch Spuren-Spezialisten der Kriminalpolizei dabei, in dem im Obergeschoss des 12-ParteienHauses gelegenen Zwei-Raum-Apartment Beweise zu sichern.
In der spartanisch eingerichteten Wohnung der städtischen Obdachlosenunterkunft waren Aschenbecher nicht geleert. Zudem standen noch Gläser, Bierflaschen und auch fast ausgetrunkene Flaschen mit harten Alkoholika auf dem Tisch, als der 55-Jährige am vergangenen Freitag gegen 9.30 Uhr von einem städtischen Hausmeister leblos aufgefunden wurde.
Die Mordkommission wartet und hofft darum jetzt auf die Ergebnisse der Spurenauswertung sowie von DNA-Analysen, die Aufschluss geben könnten, wer sich zuletzt mit dem Gewaltopfer in der Wohnung, in der normalerweise zwei Bewohner leben, aufgehalten hat. Am Freitag bewohnten nur noch vier Männer das Obdachlosenhaus, das Ein-Raum-, Zwei- und Drei-Raumwohnungen beherbergt und Gemeinschaftstoiletten besitzt.
Fest steht auch, so Informationen unserer Zeitung, dass der 55-Jährige noch am vergangenen Donnerstag gegen 20.30 Uhr – also nur wenige Stunden vor der Bluttat – im Eingangsbereich des Hauses gesehen worden ist. Da soll er in Begleitung eines Mannes gewesen sein, sagen Zeugen. Intensiv ermittelt wird darum vor allem im unmittelbaren Umfeld und Bekanntenkreis des Getöteten. So will die Mordkommission den Tatabend genau rekonstruieren.
Opfer lebte zuletzt von der Sozialhilfe
Der vor 20 Jahren geschiedene Mann polnischer Herkunft lebte seit Jahren von der Sozialhilfe. Bekannte und städtische Mitarbeiter bezeichneten ihn gestern als „sehr ruhig, hilfsbereit und überhaupt nicht aggressiv“. Trotz des fast täglichen Alkoholkonsums hatte er sich zuletzt kaum noch in Gaststätten aufgehalten. „Der trank meist in seinen eigenen vier Wänden“, bemerkte gestern ein Hausbewohner.
Vitek C. war – wie berichtet – bereits im vergangenen Dezember Opfer einer Messerattacke durch einen Mitbewohner (62) geworden. Dieser lebt heute in dem Ohligser Obdachlosenhaus an der Scharrenberger Straße. Auch er wurde von Beamten der Mordkommission vernommen.
ECKSTRASSE Staatsanwalt und Polizei gehen in die Offensive: Täter in der Trinkerszene vermutet. Gestern freiwillige DNA-Tests.
Von Hans-Peter Meurer
Im Mordfall Eckstraße gehen Polizei und Staatsanwaltschaft sieben Wochen nach der Bluttat in die Offensive und verstärken die Öffentlichkeitsfahndung nach dem Mörder des gebürtigen Polen Vitek C. (55).
Die Staatsanwaltschaft lobte 1000 Euro für Hinweise aus, die zum noch unbekannten Täter führen. Zudem verteilte die Polizei gestern die ersten von 1000 Flugblättern mit einem Fahndungsaufruf an markanten Stellen in der Solinger und Ohligser Innenstadt. Darin bittet die Mordkommission die Bevölkerung um Mithilfe bei der Aufklärung des Tötungsdeliktes.
Dabei geht die Mordkommission ganz gezielt vor: Sie verteilte die Fahndungsaufrufe vor allem dort, wo sich meist Solingens Trinker- und Nichtsesshaftenszene aufhält – wie rund um den Ohligser Bahnhof oder rund um die Clemens-Galerien. Und Angesprochene aus der Szene konnten gestern sogar freiwillig DNA-Proben abgeben.
Viele Spuren und Indizien, aber nur wenige zielführende Beweise
Der für Kapitalverbrechen zuständige Wuppertaler Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt erklärte gestern im ST-Gespräch den Grund: „Es ist nahezu sicher, dass der Täter nur im nicht einmal allzu großen Bekanntenkreis des Opfers zu suchen ist. Zumindest sprechen alle bisherigen Indizien dafür.“
Dazu gehöre, dass das Opfer seit Jahren nahezu ausschließlich im Trinkermilieu verkehrte, sollte es überhaupt einmal seine Wohnung in der städtischen Notunterkunft an der Eckstraße, die am Rande der Solinger Innenstadt liegt, verlassen haben. Und selbst dann habe der 55-Jährige stets nur die Szene-Treffpunkte aufgesucht.
In seiner Obdachlosenwohnung lebte der 55-Jährige schon seit zwölf Jahren. Zuletzt wohnten in der städtischen Notunterkunft drei weitere männliche Obdachlose – zumindest auf dem Papier in Zweierwohngemeinschaften. Der Staatsanwalt: „Dort werden aber selten Wohnungs- oder Zimmertüren abgeschlossen. Und man hockt meist zusammen. Dementsprechend stellt sich leider auch die von unseren Kriminaltechnikern nach dem Tötungsdelikt festgestellte Spurenlage dar.“ So seien zwar „jede Menge“ Fingerabdrücke und DNA-Spuren am Tatort gefunden worden – wie zum Beispiel an Bierflaschen, Gläsern sowie an abgebrannten Zigarettenkippen in Aschenbechern. Die meisten konnten den Mitbewohnern des Opfers zugeordnet werden.
Kaune-Gebhardt: „Das sind zwar Indizien, doch sie sind nahezu wertlos, weil die betroffenen Personen durchaus einräumen, auch noch am Abend vor der Tatnacht in der Wohnung des Opfers gewesen zu sein.“
Ungeklärt: Die Tatwaffe bleibt verschwunden Aktualisiert: 09.01.19 12:21
2013 wurde ein Mann in der städtischen Notunterkunft erstochen. Kurz zuvor war er schon einmal attackiert worden.
Von Kristin Dowe
Die städtische Notunterkunft an der Eckstraße ist ein schwer überschaubarer Ort, an dem ein reges Kommen und Gehen herrscht. Dort führte der damals 54-jährige Vitek Cervitzky ein zurückgezogenes Leben. Bekannte beschreiben den alkoholkranken Mann als gutmütigen Zeitgenossen, der nicht auf Streit aus war. Warum Cervitzky in der Nacht zum 3. Mai 2013 sterben musste, ist bis heute ungeklärt. Mit mehreren Messerstichen wurde der Mann brutal erstochen – sein Mörder befindet sich noch immer auf freiem Fuß.
Ebenso fehlt von der Tatwaffe jede Spur, bei der es sich mutmaßlich um ein gewöhnliches Küchenmesser handelte. Aufbruchspuren an Cervitzkys Zimmertür fanden sich nicht, seinem Mörder hatte er offenbar nichtsahnend freiwillig Eintritt gewährt. Volle Aschenbecher und halb ausgetrunkene Bierflaschen standen noch auf dem Tisch, als ein Mitarbeiter der städtischen Wohnungsnothilfe den 54-Jährigen in einer Blutlache tot auffand. Um sein Schicksal ranken sich viele offene Fragen.
Bemerkenswert an dem Fall ist vor allem der Umstand, dass der Solinger nur kurz zuvor, im Dezember 2012, bereits einmal Opfer einer Messerattacke geworden war, bei der auch ein Täter ermittelt worden ist. Was die Ermittler anfangs als heiße Spur werten, verläuft sich im Sande – dem Verdächtigen war der zweite Messerangriff letztendlich nicht nachzuweisen. Sein Alibi für die Tatzeit habe man eingehend geprüft.
Vielversprechende Spuren verliefen im Sande „Auch wenn man da auf den ersten Blick vielleicht schnell einen Zusammenhang konstruieren möchte, sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen“, sagt Marcel Maierhofer, Kriminalhauptkommissar bei der Polizei Wuppertal, der die Ermittlungen geleitet hat. „Es gab in dem Fall viele vielversprechende Spuren, die uns aber alle nicht ans Ziel geführt haben.“ So habe etwa ein anderer Verdächtiger vollmundig in seinem Freundeskreis mit der Tat geprahlt, gegenüber der Polizei allerdings kein Geständnis abgelegt. „Wir gehen davon aus, dass es sich bei dieser Person nicht um den Täter handeln kann.“
Viel ist über das Opfer nicht bekannt – abgesehen davon, dass Vitek Cervitzky eine auffallend laute Stimme besessen hatte und seine Mitbewohner in der Einrichtung gern um eine Zigarette angeschnorrt haben soll. Trotz seines Alkoholismus war der Mann mit polnischen Wurzeln selten in einer Kneipe anzutreffen, seiner Sucht frönte er meist in seinen eigenen vier Wänden. Das gab damals ein Hausbewohner bei der Polizei zu Protokoll.
Überhaupt gestalteten sich die Ermittlungen in der Trinkerszene sehr schwierig, bedauert Maierhofer. „Die Aussage eines Zeugen ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben. Der sagte mir: Wenn Sie mich fragen, was letzte Woche war, ist das so, als ob ich Sie fragen würde, was letztes Jahr war.“
Auch waren die alltäglichen Abläufe in der Notunterkunft nur schwer nachzuvollziehen – so schlossen manche Bewohner ihr Zimmer ab, andere nicht. Wer tatsächlich Zutritt zur Einrichtung hatte, war kaum mit Gewissheit zu klären. Als nicht minder kompliziert erwies sich die Spurenlage: Zwar wurden viele DNA-Spuren und Fingerabdrücke am Tatort gefunden, doch waren die ausschließlich anderen Bewohnern der Einrichtung zuzuordnen. Die Staatsanwaltschaft vermutete den Täter im engen Bekanntenkreis des Opfers, zumal es sich bei der Trinkerszene um ein abgeschlossenes Milieu handelte.
Wie auch andere ungeklärte Kriminalfälle aus Solingen wurde auch der Fall Cervitzky im ZDF-Magazin „Aktenzeichen XY Ungelöst“ vorgestellt. Die Resonanz auf die Sendung sei im Hinblick auf brauchbare Hinweise aber eher dürftig ausgefallen, bedauert Maierhofer. „Ein unaufgeklärtes Tötungsdelikt ärgert einen als Polizisten immer. Natürlich hoffe ich, dass wir den Täter noch fassen. Das gebietet einfach die Gerechtigkeit.“