2300 UND 2500 DELINQUENTEN ZUR FAHNDUNG AUSGESCHRIEBEN Polizei sucht Tausende Verurteilte
vom 2. Januar 2015 Aus der Redaktion des Prignitzers
In Berlin und Brandenburg sind Tausende verurteilte Straftäter auf freiem Fuß, da Haftbefehle gegen sie nicht vollstreckt wurden.
In Berlin und Brandenburg sind Tausende verurteilte Straftäter auf freiem Fuß, da Haftbefehle gegen sie nicht vollstreckt wurden. Nach Angaben der Polizei handelt es sich in einer Vielzahl der Fälle um Ersatzfreiheitstrafen wegen nicht bezahlter Geldforderungen.
So existierten allein in Berlin zum Ende des abgelaufenen Jahres rund 6900 offene Haftbefehle, mit denen Freiheitsstrafen durchgesetzt werden sollen, wie die Senatsjustizverwaltung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus mitteilte. Diese Zahlen seien „niederschlagend für den Rechtsstaat“, sagte der Innenexperte der Partei, Benedikt Lux.
In Brandenburg waren laut Polizeipräsidium im Schnitt der vergangenen Jahre zwischen 2300 und 2500 Delinquenten zur Fahndung ausgeschrieben – zumeist mit Vollstreckungshaftbefehlen. In den überwiegenden Fällen hätten die Betroffenen eine Geldstrafe nicht bezahlt und seien deshalb zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, sagte Präsidiumssprecher Dietmar Keck. Diese sei jedoch nicht angetreten worden. „Wie intensiv nach ihnen gefahndet wird, richtet sich nach der Höhe der Strafe sowie nach dem Gefährdungspotenzial der Personen.“ Zudem gebe es Fälle, bei denen Angeklagte nicht zur Gerichtsverhandlung erscheinen und deshalb gesucht würden.
Große Kapazitäten der Polizei gebunden
Die Deutsche Polizeigewerkschaft erkennt vor allem personelle Defizite in den Ordnungsbehörden. „Wir werden als staatliches Inkassounternehmen missbraucht“, sagt der Gewerkschaftvorsitzende Rainer Wendt. Durch die Fahndung nach Schuldnern oder Verkehrssündern seien große Kapazitäten der Polizei gebunden. „Wir haben einfach nicht mehr die Leute, um sämtliche Haftbefehle durchzusetzen“, meint Wendt. Allerdings werde für die Fahndung nach Schwerverbrechern nach wie vor ein hoher Aufwand betrieben.
Für den brandenburgischen Richterbund sind die Zahlen indes nicht besorgniserregend. „Irgendwann werden alle verurteilten Täter ins Gefängnis gebracht“, sagt der Vorsitzende Matthias Deller. Dauerhaft könnten sie sich nur schwer dem Kontrollnetz entziehen. Als dramatisch bezeichnet Deller allerdings die Überlastung der Justiz. Dadurch entgingen viele Täter einem Gerichtsverfahren.
Staatsanwälte erklären, dass Vollstreckungen in Brandenburg zügig eingeleitet werden. Bei einer Verurteilung zu langen Gefängnisstrafen könne die Untersuchungshaft auch bis zum Ablauf der Rechtsmittel verlängert werden, um eine Flucht zu verhindern, so Ulrich Scherding, Sprecher der Frankfurter Staatsanwaltschaft.
Magdeburg l In Sachsen-Anhalt gibt es jede Menge offener Haftbefehle. Die Polizei fahndet nach 1665 Personen (Stichtag: 31. Dezember 2014). Im Jahr zuvor waren es 1332 gewesen. Das ist also eine Steigerung um 25 Prozent. Im selben Zeitraum ging die Zahl der vollstreckten Haftbefehle von 9182 auf 8052 zurück - ein Minus von gut zwölf Prozent.
Die Polizeigewerkschaften führen diese Entwicklung auf die Personalsituation zurück. Uwe Petermann, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, sagte: "Für die Vollstreckung der Haftbefehle gibt es keine personellen Ressourcen mehr.Diese Aufgabe ist im Portfolio der Polizeiaufgaben irgendwo ganz hinten." Das sei eine "bedenkliche Entwicklung".
Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Wolfgang Ladebeck, sagte: "Das ist nicht hinnehmbar." Der Stau bei den offenen Haftbefehlen könne wegen des Personalmangels nicht aufgelöst werden.
Derzeit gibt es in Sachsen-Anhalt rund 6200 Polizeivollzugsbeamte. Die Zahl soll bis zum Jahr 2020 auf knap 5500 reduziert werden. Doch inzwischen zeichnet sich ab, dass das Personalkonzept spätestens 2016 auf den Prüfstand kommt.
Bei den offenen Haftbefehlen handelt es sich in der großen Mehrzahl um sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen wegen nicht gezahlter Geldforderungen. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, dass sich drei von vier Haftbefehlen gegen Personen richteten, "die in irgendeiner Form offene Geldbeträge schuldig geblieben sind". Das könne nicht gezahltes Bußgeld bei einer Ordnungswidrigkeit sein, aber auch das Nichtbegleichen eines Strafbefehls oder einer Geldstrafe.
Der restliche Anteil bestehe hauptsächlich aus Untersuchungshaftbefehlen, die beispielsweise wegen Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr oder Wiederholungsgefahr erlassen werden könnten. Zudem gebe es auch Fälle, in denen sich ein Haftbefehl gegen jemanden richte, der gerichtlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, die Haft aber nicht angetreten habe.
SPD-Innenpolitiker Rüdiger Erben sagte, die Polizisten seien mit dem normalen Tagesgeschäft ausgelastet: "Alles, was darüber hinausgeht, bleibt liegen." CDU-Innenpolitiker Jens Kolze sagte: "Auf die Zahl offener Haftbefehle kann man nicht stolz sein. Man sollte die Sache aber auch nicht überbewerten."
Zum Vergleich: In Brandenburg gibt es derzeit 2400 offene Haftbefehle. Die dortige oppositionelle CDU hatte dies als Skandal bezeichnet. In Berlin wird nach etwa 6900 Personen gefahndet. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es etwa 3000 offenen Haftbefehle.