Region Tatort GT: Warum musste der junge Taxifahrer (19) so brutal sterben? Tatort GT (Folge 4): Im Juli 1930 findet ein Landwirt die Leiche des erst 19 Jahre alten Taxifahrers Johannes Rottmann. Warum musste der junge Mann so brutal sterben? Und: warum ist dieser Mordfall nie geklärt worden?
Wolfgang Wotke 06.12.2020 um 18:00 Uhr
Gütersloh. Dieser Fall bleibt bis heute ein Mythos, ein ungelöstes Rätsel, über das man mit Schaudern spekulieren kann. Es ist der 8. Juli 1930, ein Dienstag, als am Vormittag ein Landwirt im Unterholz in Schloß Holte eine männliche Leiche entdeckt. Schnell ist klar: dort liegt der seit vier Tagen vermisste 19-jährige Johannes Rottmann aus Gütersloh. Vermutlich erschlagen mit einem dicken Stein.
Über diesen vergessenen Mord findet man in Archiven kaum etwas. Es gibt keine verstaubten Akten mehr, in denen man stöbern kann, keine Asservate, die man heute noch auswerten könnte, keine Zeitzeugen, die man hätte befragen können. Längst sind die Ermittlungsunterlagen und Beweisstücke vernichtet, die damaligen Ermittler verstorben. Nur alte Zeitungsausschnitte erinnern an das schreckliche Verbrechen. Wir gehen trotzdem auf Spurensuche. Was ist damals vor 90 Jahren wirklich geschehen? Warum musste der junge Mann so brutal sterben? Und: Warum ist dieser Mordfall nie geklärt worden?
Über Johannes Rottmann, ein freundlicher, junger Mann, weiß man nicht viel. Fest steht nur, dass er als Taxifahrer sein Geld verdient. So steht er auch am frühen Morgen des 4. Juli 1930 mit seiner sandgrauen, viertürigen Brennabor-Limousine (55 PS), verziert mit rot-gelben Linien, vor dem Gütersloher Bahnhof. Er fährt zu diesem Zeitpunkt ein Auto der oberen Mittelklasse.
Rottmann wartet geduldig auf Fahrgäste und raucht eine Zigarette nach der anderen. Wie lange der 19-Jährige dort schon gestanden hat, ist nicht bekannt. Gegen 7.30 Uhr, so sagen es Zeugen später aus, sollen zwei dunkel gekleidete Männer in sein Fahrzeug eingestiegen sein. Die Fahrt in den Tod? Kurios: nur zwei Stunden später wird das Taxi mit dem Kennzeichen IX. 113 148 (Provinz Westfalen) in der Siegfriedstraße in Gütersloh, also nur 1,3 Kilometer vom Bahnhof entfernt, gefunden. Herrenlos und unverschlossen. Nur die Zündschlüssel fehlen, sowie eine Tasche mit Wechselgeld. Doch wo ist Johannes Rottmann? Niemand weiß das. Er bleibt verschwunden.
Ist der Fundort auch der Tatort?
Während ein Bauer vier Tage später kurz vor dem Mittagessen in einem Wald bei Schloß Holte noch mit Holzarbeiten beschäftigt ist, nimmt dieser plötzlich einen seltsamen Geruch wahr, der durch die drückende, schwüle Sommerluft verstärkt wird. Er rümpft die Nase. Ist das etwa der penetrante Duft einer verwesenden Leiche? Sekunden später die Gewissheit: Nur wenige Meter von einem kleinen Sandweg entfernt sieht er, versteckt zwischen Gestrüpp und abgebrochenen Ästen, einen leblosen Mann auf dem Boden liegen, der übel zugerichtet ist. Sofort verständigt er die Polizei, die eine Stunde später am Fundort eintrifft. Untersuchungen der Leiche bestätigen die erste, vage Vermutung der Polizeibeamten: Es handelt sich tatsächlich um Johannes Rottmann. In diesem Moment wird er zum Kriminalfall. Eine Mordkommission aus Bielefeld übernimmt die Ermittlungen.
Und die fragt sich: Ist der Fundort auch der Tatort? Immerhin liegt er 24,7 Kilometer entfernt von der Siegfriedstraße, dort wo sein leeres Taxi aufgefunden worden ist. Hat Rottmann den oder die Täter mit seinem Wagen dort hinkutschiert und wurde er dort getötet? Warum steht seine Brennabor-Limousine dann wieder in Gütersloh? Die Ermittler sichern noch einen großen blutverschmierten Stein und andere Spuren, doch keine, die auf einen Kampf hindeuten.
Die Obduktion bringt überraschende Ergebnisse Die Obduktion, die am nächsten Tag stattfindet, bringt überraschende Ergebnisse: Bei Johannes Rottmann werden zwei schwere Kopfverletzungen festgestellt, aber auch noch eine Schusswunde. Ist er zuerst mit einem Stein niedergeschlagen und dann erschossen worden? Banknoten oder Münzen finden sich bei ihm nicht. Ist es ein Raubmord?
Tageszeitungen und der Rundfunk berichten über den mysteriösen Fall. Die Kripobeamten befragen noch einmal einige Augenzeugen, die zwei Männer am Bahnhof gesehen haben wollen, wie sie in Rottmanns Taxi gestiegen sind. Ein Mann sei etwa 1,75 Meter groß, 25 Jahre jung und von schlanker Figur gewesen, sagen sie übereinstimmend. Er soll einen dunklen Anzug und einen hellen Schlapphut getragen und unter seinem rechten Arm einen länglichen Pappkarton geklemmt haben. Der andere Mann sei etwas kleiner gewesen, so um die 1,65 Meter und jünger, untersetzt mit rundem Gesicht. Sein blauer Anzug und seine blaue Schirmmütze seien auffällig gewesen. Dazu habe er noch eine schwarze Aktentasche in seiner Hand gehabt. Die Polizei spekuliert: Sind diese Männer seine letzten Fahrgäste und womöglich auch seine Mörder?
Fahnder glauben, die Täter endlich geschnappt zu haben Dann die vielleicht nächste, heiße Spur. Es meldet sich ein Fuhrmann, der zwischen dem 4. und 8. Juli zwei Männer mit einem Motorrad der Marke „Triumph" beobachtet haben will, die sich in der Nähe des Leichenfundortes aufgehalten haben. Er nennt sogar das Kennzeichen des Kraftrades, das er sich vorher notiert hat: „IX. 113 666." Es wird überprüft und dann stellt sich heraus: Es ist falsch! Andere Zeugen wollen diese Männer auch in einer benachbarten Gaststätte gesehen haben. Diese Unbekannten sind nun dringend tatverdächtig. In Gütersloh, Verl und Delbrück kommt es in den nächsten zwei Tagen zu mehreren Festnahmen. Die Personen mit strafrechtlichen Vorgeschichten werden intensiv verhört und wieder frei gelassen. Ihre Befragungen laufen ins Leere und bringen die Ermittler keinen Schritt weiter.
Dann passiert das: In Münster werden am 10. Juli zwei Straßenräuber von der Polizei auf frischer Tat ertappt. Da auf sie auch noch die Beschreibung der mutmaßlichen Mörder aus Gütersloh passt und einer vor der Festnahme schnell noch einen Autozündschlüssel wegwirft, glauben die Fahnder, die Täter endlich geschnappt zu haben. In ihren Taschen stecken sogar ein Dolch und ein Revolver, der jedoch unbrauchbar ist.
Messingschild erinnerte an das Mordopfer Ob die Autoschlüssel zum Gütersloher Taxi gehören oder ob mit dem Revolver auf Johannes Rottmann geschossen wurde, ist nicht überliefert. Im Verhörzimmer der Bielefelder Mordkommission beteuern beide stundenlang immer wieder: „Wir kommen aus Hamburg und sind auf dem Weg nach Antwerpen, um dort Arbeit zu finden. Mit dem Mord haben wir nichts zu tun." Schließlich ordnet ein Amtsrichter ihre Freilassung an – aus Mangel an Beweisen. Aufgeklärt wird dieses Verbrechen nie. Die Tat bleibt ungesühnt. Sicher ist: Nach so langer Zeit leben die Mörder auch nicht mehr.
Im Holter Wald, in der Nähe des Leichenfundortes, soll noch ein Baum gestanden haben, an den ein Messingschild mit dem Namen von Johannes Rottmann genagelt war, um an ihn und an den Mord zu erinnern. Dieser Baum ist vor 40 Jahren gefällt worden.
ZitatIst der Fundort auch der Tatort? Immerhin liegt er 24,7 Kilometer entfernt von der Siegfriedstraße, dort wo sein leeres Taxi aufgefunden worden ist. Hat Rottmann den oder die Täter mit seinem Wagen dort hinkutschiert und wurde er dort getötet? Warum steht seine Brennabor-Limousine dann wieder in Gütersloh? Die Ermittler sichern noch einen großen blutverschmierten Stein und andere Spuren, doch keine, die auf einen Kampf hindeuten.
Vermutlich fuhr Rottmann das Taxi bis Holter Wald und wurde dort ermordet. Die Täter fuhren mit dem Taxi zurück nach Gütersloh zur Siegfriedstraße und von dort zu Fuß evtl. zum Bahnhof. Der war/ist nicht weit entfernt.
Fehlende Kampfspuren könnten bedeuten, dass das Opfer zuerst erschossen wurde und da es noch lebte, half man mit dem Stein nach. Zwei Tätern wäre der 19-jährige Taxifahrer wahrscheinlich auch körperlich unterlegen gewesen, sodass Gegenwehr zwecklos war.
Die Reichsmark war seinerzeit eine stabile Währung. Eine Taxifahrt bis zu 20 Kilometer kosteten gerade einmal zehn Reichsmark. Der monatliche und durchschnittliche Verdienst betrug damals ungefähr 170 Reichsmark.
Sehr wahrscheinlich hatte ein "Taxidriver" in jenen Zeiten viele Fahrten, so dass bei diesem Täter durchaus eine innere Habgier für sein Verbrechen entstand.