Mann fast totgeprügelt – doch Kollege hilft nicht In einem Hotel ereignete sich eine unfassbare Gewaltorgie. Ein Mann prügelte minutenlang auf einen anderen ein. Nun fiel das Urteil gegen einen Kollegen, der Zeuge wurde, jedoch nichts unternahm.
von Daniel Herder
Es sind Szenen unfassbarer Brutalität, die sich am 27. Januar 2013 im Hotel "Hafen Hamburg" abgespielt haben. Und jede einzelne, schockierende Episode dieses fast halbstündigen Martyriums ist in einem Überwachungsvideo dokumentiert. Darin ist zu sehen, wie ein Mann einen anderen Mann im Flur des Hotels niederringt und mit enormer Kraft auf ihn eintritt – selbst dann noch, als Mohammed K., das Opfer, nur noch regungslos am Boden liegt. Zwischendurch putzt und feudelt der Schläger, als wäre nichts weiter geschehen. Dann tritt er abermals zu.
Die Staatsanwaltschaft hat nachgezählt: 50 Mal trat der Täter mit der Schuhsohle von oben auf das Gesicht, 20 Mal zog er wuchtig mit dem Spann ab, weitere 20 Mal stellte er sich auf den Kopf seines Opfers. Insgesamt 100 "Gewaltanwendungen" sind aktenkundig geworden. Auf dem Video taucht zweimal kurz ein dritter Mann auf. Er spricht mit dem Täter, während Mohammed K. vor seinen Augen schwer verletzt am Boden liegt, dann huscht er in einen anderen Raum. Nach dem letzten Auftauchen des Zeugen muss das Opfer 17 weitere Minuten die Schläge und Tritte seines Peinigers über sich ergehen lassen.
Alle drei Männer arbeiteten für dieselbe Reinigungsfirma. Den Untätigen hat die Staatsanwaltschaft am Montag wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht zur Verantwortung gezogen: Kahled H., 58. Er habe gesehen, dass Blut aus dem Mund seines Kollegen sickerte, doch habe er Angst gehabt vor dem Schläger, rechtfertigte sich H. vor dem Amtsrichter. Nachdem er den Tatort verlassen habe, habe er aber seinen Vorgesetzten angerufen, damit der Hilfe hole, "zumal ich die Nummer der Polizei nicht kannte", sagte Kahled H., der immerhin seit 1990 in Hamburg lebt.
Nur eine Not-OP konnte dem Opfer das Leben retten
Sein Vorgesetzter Jorge N., 47, bestreitet das – nicht den Anruf, aber die Bitte um Hilfe. Ein Nachtportier hatte die Prügelorgie zufällig auf einem Monitor beobachtet, er eilte zum Täter, stellte ihn zur Rede. Dann endlich, nach 25 Minuten, ließ der Schläger von seinem Opfer ab und lief zu Jorge N., um ihm mitzuteilen: "Das ist heute mein letzter Tag bei euch, ich habe den K. gekillt." Erst danach, sagt der Zeuge, habe er den Anruf von Kahled H. erhalten, der habe ihn aber lediglich gebeten, ihm beim Schneeräumen zu helfen.
Die Ärzte retteten Mohammed K. durch eine Not-OP das Leben. Er hatte ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten, noch heute plagen ihn Kopfschmerzen und Depressionen. Bitter: Weil selbst drei Stunden Reinigungsarbeit am Tag ihn überlasten, hat er seinen Job verloren. Sein Peiniger ist bereits im Vorjahr wegen versuchten Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Offenbar war er ausgerastet, weil er sich von Mohammed K. zu Unrecht kritisiert fühlte.
Kahled H. kam am Montag mit einer Geldstrafe von 1500 Euro (100 Tagessätze à 15 Euro) davon. Durch sein passives Verhalten habe er dazu beigetragen, dass es für seinen langjährigen Kollegen überhaupt so schlimm kommen konnte, sagte der Richter. Immerhin verhallte der Tadel nicht ungehört. Kahled H. räumte in seinem Schlusswort ein: "Ich weiß jetzt, dass ich unter allen Umständen helfen muss."