Der Tod des Platzlkönigs: Ein Mord in Mafia-Manier 1970 wird Albert Abraham Berger, eine Größe im Münchner Nachtleben, tot aus dem Chiemsee gezogen. Die Tat ist kaltblütig - und immer noch ungeklärt 03. August 2021 - 16:32 Uhr | Myriam Siegert
München - Flaniert man heutzutage übers Platzl, sieht man vor allem Trachtler und Touristen, Fußball-Fans auf dem Weg zu den Fan-Shops, oder Schuhbeck-Fans auf dem Weg zu Eis oder Gewürzen. Ab und zu kommt eine Stadtführung vorbei, die alten Häuser sind pittoresk, das Kopfsteinpflaster ist glatt poliert und sauber. Das Platzl zwischen Orlandohaus, Hofbräuhaus und Ledererstraße ist ein aufgeräumter Ort. München als Sehenswürdigkeit, als Postkarte.
Bis in die frühen 70er Jahre war das ganz anders. Nach dem Krieg waren die Häuser in der Graggenau arg heruntergekommen. Zwar hielt sich, wo heute das Hard Rock Café Touristen lockt, beinahe hundert Jahre lang die berühmte Volkssängerbühne am Platzl, doch drumherum siedelte sich ein buntes Völkchen an. Die Prostitution blühte - ein veritables Rotlichtrevier war entstanden.
Rotlicht am Platzl Auf den Straßen warteten Frauen, vom Dirndlmadl bis zur mondänen Französin als Touristinnen getarnt, auf die damals schon zahlreichen Touristen, auf Herren aus der Provinz oder Alleinreisende, die sie in einem der zahlreichen Lokale, bei dem die Damen freilich unter Vertrag standen, auf eine Flasche Sekt oder besser Champagner einladen würden. Die Lokale galten als Goldgruben. "Er konnte sich dann sicher sein, dass nach kürzester Frist drei bis vier leere Flaschen in den Kübeln standen, die er gar nicht konsumiert hatte, und dass auf der Rechnung die Tausend die kleinste Einheit vor dem Komma war", beschreibt Johann Freudenreich, in den 90ern Münchens dienstältester Kriminalreporter, die Szenerie. Freudenreich berichtete damals über den Fall Berger und blickte über die Jahre in zahlreichen Artikeln für die Süddeutsche Zeitung immer wieder auf den Fall zurück.
Allein rund ums Platzl gab es etwa zwölf solcher Rotlicht-Bars und Nachtlokale, manche eher schummrige Kaschemmen, manche gehobene Etablissements. Zwei letzte Tabledance-Bars in der Gegend zeugen noch heute von dieser Zeit.
Eine Größe dieses Nachtlebens damals ist Albert Abraham Berger, eine sehr schillernde Figur und ein angeblich sagenhaft reicher Unternehmer - er war der Platzlkönig.
Gunther Sachs, Hugh Hefner: Sie alle sind Bergers Gäste Berger führt rund ums Platzl und in der Altstadt gleich fünf solcher Lokale. Die "Papagei-Bar", ein Frühlokal in der Hochbrückenstraße, das "Separé XX", in der Nähe die "Castell-Bar", das "Petite Fleur" und das legendäre "Lola Montez", heute ist hier die Gaststätte Ayinger am Platzl. Bergers "Tilbury" im Orlando-Haus gilt damals als das beste Lokal am Platz, "mit guter Musik und schummriger Atmosphäre", "wo die Bloody Marys korrekt gemixt waren und die Orangeade wirklich Orangeade war".
Das Tilbury ist ein Treffpunkt der Promis und der High Society. Playboy Gunther Sachs und Playboy-Herausgeber Hugh Hefner sind zu Gast, ebenso Udo Jürgens und Prinz Johannes von Thurn und Taxis.
Berger verschwindet plötzlich Berger, damals 43 Jahre alt, betreibt den Laden mit einem Geschäftspartner - bis er selbst am 16. Mai 1970, es ist der Pfingstsamstag, verschwindet. Wurde der Platzlkönig entführt? Sein Anwalt setzt 5.000 Mark Belohnung für Hinweise aus. Hat er sich abgesetzt?
Berger hat Schulden beim Finanzamt. Die Polizei, so heißt es, habe daher zunächst nur eher halbherzig nach ihm gesucht. Ein Zeuge will Berger an dem Tag sogar noch am Hauptbahnhof gesehen haben. Doch auch der Zeuge verschwindet später.
Albert Abraham Berger ist, so die Recherchen des Journalisten Wilhelm Dietl, in der damaligen Tschechoslowakei geboren, hatte den Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg in Ungarn überlebt und war dann nach Israel ausgewandert. Dort lebte er eher bescheiden, hat Familie, arbeitete im Straßenbau oder in der Landwirtschaft. 1959 siedelt er nach West-Deutschland über und "findet im Nachtleben seine Bestimmung".
Ab 1963 gründet Berger ein Lokal nach dem anderen. Er ist bald ein Mann "aus dem Milieu", wie die AZ einmal schreibt, hat bekanntermaßen Kontakte in die Unterwelt, es laufen Verfahren wegen Hehlerei.
Bergers Leiche im Chiemsee gefunden Und er versucht, anderen Nachtlokalbesitzern ihre Bars und Clubs abzupressen. Berger gilt als Einzelgänger, als unnachgiebig, manchen auch als brutal. Auch daher rührt sein Titel als Platzlkönig.
Erst Wochen nach seinem Verschwinden, am 8. Juli 1970, wird Albert Berger gefunden. Ein Fischer und seine Frau ziehen seine Leiche aus dem Chiemsee, als sie ihr Renkennetz einholen. Diese Netze haben am Ende eine sehr lange Leine und einen Grundanker. In 60 Metern Tiefe hatte sich dieser Anker an dem Leichnam verhakt.
Der Tote ist fest in Plastiksäcke verschnürt und mit kiloschweren eisernen Hanteln beschwert. Die Untersuchung des Leichnams ergibt: Berger ist mit einem Genickschuss wohl regelrecht hingerichtet worden. "Ein Mord nach klassischer Mafia-Manier", schreibt die AZ.
Nun ermittelt die Mordkommission. Zunächst, im Juli 1970, heißt es noch, Berger sei gegen 5.30 Uhr im Tilbury gesehen worden, habe den Club noch lebend verlassen und sich auf den Weg zur Papagei-Bar in der Hochbrückenstraße gemacht.
Berger hatte die Angewohnheit, frühmorgens durch seine Lokale zu touren und die Einnahmen persönlich abzuholen. Klären wollte man, ob er sein Ziel auch lebend erreicht hatte. Ein Zeuge gab an, ihn um 6 Uhr morgens noch gesehen zu haben. Weil der Mann aber wegen Hochstapelei und Betrugs vorbestraft war, galt er als wenig glaubwürdig.
Mord in Mafia-Manier Bei den weiteren Ermittlungen wird rekonstruiert, dass Berger in seinem Büro im Tilbury wohl im Stuhl lehnend von hinten erschossen wurde. Blutflecken auf dem Teppich hat man mit roter Tinte überdeckt. Von Kriminaltechnik hatten der oder die Täter also eher wenig Ahnung. Die Hantelscheiben hat wohl ein junger Mann, der es sehr eilig hatte, am Tag von Bergers Verschwinden in einem Geschäft in München gekauft.
Die Polizei vermutet Mordmotive in zwei Richtungen: Meinungsverschiedenheiten und Konkurrenzkampf im Rotlichtmilieu im Zusammenhang mit Bergers Druck auf andere Barbesitzer. Andere Ermittlungen gehen eher in Richtung der Hehlerei-Vorwürfe gegen Berger.
Es kommt eine stattliche Zahl an möglichen Verdächtigen zusammen: Die Kripo ermittelt über hundert Personen, die allesamt ein Motiv zur Tat hätten haben können. Einen konkreten Verdacht gibt es jedoch gegen keinen von ihnen, berichtet Johann Freudenreich gleich im Juli 1970.
Eine "Reihe von Ganoven", vor allem die "berüchtigte Platzl-Bande", die an Berger "heiße Ware" geliefert haben soll, sei nicht ausgezahlt worden, habe aber dennoch immer über ihre Abnehmer geschwiegen. Nach Bergers Tod hofft die Polizei jetzt, dass doch jemand aussagt und so vielleicht zum Täter oder zumindest auf dessen Spur führt.
Ein Zeuge glaubt, Bergers Geschäftspartner könnte an dem Mord beteiligt gewesen sein. Auch der Geschäftsführer des Tilbury gerät unter Verdacht, weil er manipuliert hatte - und deshalb große Angst vor seinem Chef hatte. Wegen dieser Indizien kommen beide sogar in Haft, müssen aber schließlich freigelassen werden.
Nach Bergers Tod entbrennt Streit ums Erbe Mit dem Tilbury geht es nun an bergab, die prominenten Gäste bleiben fern. Man muss Konkurs anmelden. Mit Berger verschwindet auch sein Imperium. Der Mord wird übrigens nie aufgeklärt, der oder die Täter werden nie gefasst, 1971 die Ermittlungen eingestellt. Wenngleich natürlich gilt: Mord verjährt nicht.
Nach Albert Abraham Bergers Tod entbrennt schnell ein Streit ums Erbe. Es stellt sich heraus, dass Berger über Strohmänner weitere Lokale betrieben hat. Er war verheiratet mit der Barfrau Antje, sie haben drei Kinder, das jüngste ist, als Berger ermordet wird, gerade mal sieben Monate alt.
Am 10. August 1970 steht in der SZ: "Die Erbin des ermordeten Nachtklubbesitzers Albert Berger steht jetzt fest. Alleinerbin ist nach deutschem Recht seine zwölfjährige Tochter Erid, die mit ihrer Mutter in Tel Aviv lebt."
Der Nachlasspfleger, Rechtsanwalt Gerold Schöfer, war bereits am 29. Juli nach Israel geflogen, um dort Kontakt mit der geschiedenen ersten Frau und der Tochter des "Platzlkönigs" aufzunehmen.
Doch laut Wilhelm Dietls Recherchen wurde das Vermögen Bergers in den nächsten Jahren für Anwälte und Geschäftsführer aufgerieben. Wie die Zeitungen damals berichten, wird das Nachlassverfahren im Juli 1975 abgeschlossen - mit einer amtlichen Bekanntmachung des Münchner Konkursgerichts: Berger hatte 200.000 Mark Schulden hinterlassen.
Am Platzl räumt die Polizei auf, auch mit Blick auf Olympia 1980, als sich die Tat zum zehnten Mal jährt, titelt die Süddeutsche Zeitung, es gebe "neues Licht in dem alten Mordfall", die Ermittlungen seien wieder in Gang gekommen, anscheinend weil einer der Täter im Bekanntenkreis Einzelheiten ausgeplaudert habe, die "minutiös mit den polizeilichen Tatortuntersuchungen übereinstimmten".
Der Mann, der im Ausland lebe, erzählte, die Täter waren sicher davon ausgegangen, dass Berger nie gefunden werden würde. Um den Eindruck zu verstärken, er hätte sich abgesetzt, sei das Gerücht gestreut worden, er habe für den Tag des Verschwindens ein Ticket nach Zürich gebucht. Bahnbrechendere Erkenntnisse gibt es nicht.
Am Platzl hat die Polizei nach dem Mord "ein großes Reinemachen veranstaltet" auch wegen der Olympischen Spiele, bei denen sich München als eine saubere Stadt präsentieren wollte. Der Sperrbezirk wurde eingerichtet, Bordelle und Sex-Shows gab es in der Altstadt nicht mehr. Lediglich Bars, in denen leicht bekleidete Damen tanzten und mitunter überteuerte Getränke an den Gast brachten, durften bleiben.
Auch wenn der kaltblütige Mord an Albert Berger als ihr Höhepunkt gilt, die Gewalt im Nachtclub-Milieu verschwand nicht. Noch Jahre später beschäftigten Schutzgelderpresser und Schlägertrupps die Gerichte. Journalist Wilhelm Dietl hatte nach eigenen Angaben noch in den frühen Nullerjahren einen Sohn Bergers beim Versuch unterstützt, doch noch einmal Licht in den Fall des ermordeten Vaters zu bekommen.
Buchtipp: Der Fall des Platzlkönigs ist einer von 15 echten Kriminalfällen, die in dem handlichen Mini-Stadtführer "Kriminelles München. Ein Stadtplan des Verbrechens" aufgegriffen werden. Autorin Katharina Rieger, ehemals AZ-Lokalchefin, führt auf einer spannenden Tour auf die Spur des Verbrechens, zu Originalschauplätzen und Tatorten (Volk Verlag, 7,95 Euro).