24.05.2020 Im Schatten der Berge: Das Verschwinden der Christine Schwarz Zu Pfingsten 2017 verschwindet eine junge Frau. Ihren Eltern hat sie erzählt, sie wäre über das Wochenende im Kloster. Doch dort ist sie nie aufgetaucht.
von Elisabeth Hofer, Tobias Pehböck
Tanzen, tanzen, tanzen. Nichts wollte Christine Schwarz mehr. Tanz studieren, professionelle Tänzerin werden und vom Tanzen leben können. Dass sie schon über 30 war, schien ihr dabei ganz egal, und auch dass sie gegen jüngere Frauen, die seit ihrer Kindheit Ballett-Unterricht nahmen, keine Chance haben würde, ignorierte sie.
Christine tanzte durch ihre WG in Linz, sie tanzte im Garten ihrer Eltern in Niederösterreich und sie tanzte auch am Abend des 2. Juni 2017, am Abschlussabend eines Integrationsprojektes, das Einheimische und Flüchtlinge tänzerisch zusammenbringen sollte.
Dann verschwand Christine.
Am 7. Juni 2017, es war der Mittwoch nach Pfingsten, wurde Christines Mutter Barbara* nervös. Sie hatte ihre Tochter seit dem Wochenende nicht erreicht und keine Antworten auf ihre SMS-Nachrichten bekommen. Die Mitbewohnerinnen der 31-Jährigen erzählten Barbara, sie hätten sie nicht gesehen. Auch in jenem Hort in Steyr, in dem die studierte Soziologin arbeitete, oder besser: arbeiten hätte sollen, war sie nicht aufgetaucht.
Wo steckte Christine? Das letzte, das Barbara von ihrer Tochter wusste, war, dass sie vorgehabt hatte, sich über Pfingsten auf Einkehr in ein Kloster, bei den Marienschwestern in Linz, zu begeben. Doch auch die Schwestern erklärten, Christine sei nie bei ihnen angekommen.
Gemeinsam mit ihrem Mann informierte Barbara die Polizei. „Ich hatte gleich ein schlechtes Gefühl“, sagt sie heute, wenn sie sich an diesen Tag vor fast genau drei Jahren zurück erinnert.
Andere Pläne Christines Freunde aus dem Tanzprojekt, das am 2. Juni seinen Abschlussabend gefeiert hatte, wurden befragt. Von dem geplanten Aufenthalt im Kloster hatten sie noch nie etwas gehört. An jenem 2. Juni hatte die zierliche junge Frau mit dem brünetten Lockenkopf nämlich von ganz anderen Plänen für das Pfingstwochenende gesprochen:
„Sie war fröhlich und ausgelassen, ist dann aber recht früh gegangen“, sagt Projekt-Organisatorin Severina Lachmair. „Weil sie gesagt hat, sie möchte am nächsten Tag wandern gehen.“
Dunkle Spuren: Wer war Christine Schwarz
Wandern? Davon hatten Christines Eltern gar nichts gewusst. Und auch die Polizei stand vor einem Rätsel. Zwar hatte man im WG-Zimmer einen ÖBB-Fahrplan vom Salzkammergut gefunden, wo genau die junge Frau hingefahren war, wusste aber niemand. Auch nicht, ob sie ihren Wanderausflug tatsächlich angetreten hatte, oder doch in Linz geblieben war. Wo also suchen? Die Tage vergingen und Christines Eltern wurden immer besorgter. Wo war ihre Tochter? Warum hatte sie nichts von der geplanten Wanderung erzählt? Warum der Vorwand, sie wolle auf Einkehr ins Kloster?
Ermittler Thomas Löfler vom Landeskriminalamt Oberösterreich fahndete mit Hochdruck nach der 31-Jährigen. Der erste konkrete Hinweis kam einige Tage später aus einer mehr als unerwarteten Richtung: von innerhalb der Polizei. „Es hat sich ein Kollege bei mir gemeldet und erzählt, seine Frau habe ihn auf ein Foto von Frau Schwarz in der Zeitung aufmerksam gemacht und gesagt, sie ist sich ganz sicher, Christine beim Wandern getroffen zu haben.“, erzählt Löfler. Als der Beamte sich daraufhin das Bild angeschaut habe, habe auch er bestätigen können, die junge Frau noch am Dienstag, den 6. Juni 2017, getroffen zu haben - auf einem Wanderweg bei der sogenannten Koppenbrüller-Höhle in der Region Dachstein-Krippenstein.
Die Höhle ist mit dem Zug gut erreichbar, die Ausstiegsstelle befindet sich zu Fuß nur etwa 15 Minuten vom Höhleneingang entfernt. Der Weg führt durch den Wald entlang der sogenannten Koppentraun, die im Frühjahr, wenn der Schnee auf den Bergen schmilzt, große Mengen Wasser führt und stellenweiße zum reißenden Fluss wird.
Ob Christine in der Höhle war oder nicht, konnte die Polizei nicht mit Sicherheit feststellen. Die Koppenbrüller Höhle ist eine wasserführende Tropfsteinhöhle, wie es in der Gegend mehrere gibt. Um sie zu besichtigen, wird festes Schuhwerk und wärmere Kleidung empfohlen. Jener Beamte, der Christine dort getroffen hatte, gab allerdings an, er habe sich gewundert, da sie nur Flip-Flops an den Füßen und ein leichtes Sommerkleid trug und dass sie für eine längere Wanderung in den Bergen also gar nicht ausgerüstet war.
Für die Ermittler ergaben sich aus dieser Aussage nun mehrere Fragen: War es, schlecht ausgerüstet wie Christine war, zu einem Wanderunfall gekommen? Hatte sie irgendwo den Halt verloren und war einen Hang hinunter gestürzt? Aber warum hätte man sie rund um ein so beliebtes Ausflugsziel wie die Koppenbrüller Höhle dann jahrelang nicht gefunden?
Außerdem war gänzlich unbekannt, was Christine vom Samstag, dem 3. Juni, bis zu diesem Dienstag, dem 6. Juni, gemacht hatte. War sie in Linz geblieben oder war sie, wie sie es ihren Freunden gesagt hatte, tatsächlich schon am Samstag zum Wandern aufgebrochen? Wo aber war sie dann abgestiegen? Kein Hüttenwirt oder Pensions-Inhaber hatte sich gemeldet und bekannt gegeben, dass er einen Gast vermisst. Auch die Mitbewohnerinnen aus der WG in Linz konnten nicht zur Klärung dieser Fragen beitragen, weil auch sie über das Pfingstwochenende nicht in der Wohnung waren.
Dennoch: Die Spur nach Obertraun war für die Personenfahnder ein erster Erfolg. Für Christines Familie hatte dieser hingegen einen bitteren Beigeschmack. Christine litt seit Jahren an einer bipolaren Störung, depressive und manische Phasen wechselten sich ab. Auch ihre Medikamente hatte sie in der Zeit vor ihrem Verschwinden abgesetzt, da sie glaubte, dann endlich ihr ganzes künstlerisches und tänzerisches Potenzial entfalten zu können.
Als die Polizei ihren Computer auswertete, stellten die Beamten fest, dass sich Christine eingehend mit dem Thema Suizid beschäftigt hatte. In ihrem Zimmer fand man, auf einen Zettle gekritzelt, die Notiz: „Es ist aussichtslos sagte die Zukunft“.
"Nur noch Suizid-Gedanken" Die Vermutung lag also nahe, dass die junge Frau sich in den Bergen etwas angetan haben könnte. Felsen, Abhänge, die im Frühling stark anschwellende Koppentraun – ausreichend Möglichkeiten hätte es auf ihrem Ausflug gegeben. „Der Google-Verlauf hat mich persönlich extrem schockiert“, sagt auch Ermittler Thomas Löfler. „In der Zeit vor ihrem Verschwinden dürfte die Frau Schwarz nur noch Suizid-Gedanken gehabt haben.“
Aber auch im Falle eines Selbstmordes stand die immer gleiche Frage im Raum: Wo war Christines Leiche?
Aus der Wohnung in Linz wurden Wäschestücke geholt und ein Suchhund bei der Koppenbrüller Höhle auf Christines Geruchsspur angesetzt. Der Hund konnte den Weg, den Christine gegangen war, drei Stunden lang über Stock und Stein nachverfolgen. Dann endete die Spur, allerdings nicht etwa auf einem Berg, am Rande eines Abgrunds - sondern am Bahnhof in Bad Aussee.
Dunkle Spuren: Die letzte Sichtung und die Suche nach der Vermissten
Bis heute ist nicht geklärt, wo Christine Schwarz von dort aus hingefahren ist. Wollte sie eine weitere Wanderung an einem anderen Ort unternehmen? Ist dort ein Unfall passiert, hat sie sich anderswo etwas angetan?
Christines Freunde aus dem Tanzprojekt glauben nicht an einen Selbstmord. „Diesen Gedanken habe ich bis heute nicht, das kann ich mir fast nicht vorstellen“, sagt Severina Lachmair. „Sie war mit sich im Reinen. Es war nicht so, als ob sie vorhätte, die Entscheidung zu treffen, ihr Leben zu beenden.“
Auch, dass Christine noch am 29. Mai, vier Tage vor ihrem Verschwinden, eine Bewerbung für einen Job als Schaffnerin bei der Bahn aufgesetzt hatte, spricht dafür, dass sie eigentlich Pläne für die Zukunft hatte.
Zugfahrt ins Unbekannte Was aber könnte passiert sein, wenn Christine nach dem Wandern bereits wieder im Zug saß?
Dass Christine Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, hält Ermittler Thomas Löfler für relativ unwahrscheinlich, wenngleich nicht für unmöglich. „Bei unseren Ermittlungen hat sich kein Hinweis darauf ergeben, dass ihr jemand etwas antun hätte wollen“, sagt Löfler. Allerdings: „Wenn die Frau Schwarz irgendwo jemanden getroffen hat oder in ein Auto eingestiegen ist, dann wissen wir das einfach nicht.“
Auch Severina Lachmaier hält eine andere Variante für wahrscheinlicher: „Meine Vorstellung war immer, dass sie verschwunden ist, weil sie Zeit für sich gebraucht hat und niemanden sehen will. Wenn die richtige Zeit kommt, kommt sie vielleicht wieder. Wenn sie kann.“
Für Christines Familie waren die vergangenen drei Jahre eine harte Zeit. Christines Sachen stehen immer noch im Haus ihrer Großmutter, in einem Zimmer, das Mutter Barbara nicht betreten kann - zu groß ist der Schmerz.
Die Suche nach ihrer Tochter hat sie dennoch nicht aufgegeben. Erst vor wenigen Tagen ist sie wieder ins Salzkammergut gefahren, um Steckbriefe anzubringen, auf denen sie um Hinweise auf den Verbleib von Christine bittet. „Die Hoffnung ist nicht umzubringen“, sagt Barbara.
Hier geht es zum Podcast rund um das Verschwinden von Christine Schwarz
Im Schatten der Berge: Das Verschwinden der Christine Schwarz Hinweise zum Fall Christine Schwarz bitte an das Landeskriminalamt Oberösterreich unter der Rufnummer 059 133 40/ 3333 oder an dunklespuren@kurier.at
Wanderin aus Linz noch immer vermisst: Polizei bittet um Hinweise
12. Juni 2017, 16:25 Uhr
Seit 2. Juni ist eine 31-Jährige Linzerin verschollen. Zuletzt wurde sie auf einem Wanderweg an der Grenze zur Steiermark gesehen.
LINZ (red). Die 31-jährige Christine Schwarz ist seit 2. Juni aus ihrer Wohnung in Linz abgängig. Laut Polizei wurde sie zuletzt in der Nähe der Dachsteinseilbahn in Obertraun, bzw. im Bereich der Koppenbrüllerhöhle bei einem Wanderweg gesehen. Eine Handypeilung verlief bisher negativ, das Mobiltelefon der Vermissten ist ausgeschaltet.
Personsbeschreibung:
Christine Schwarz ist zierlich und etwa 165 cm groß. Sie hat grüne Augen und brünettes, gelocktes, schulterlanges Haare. Ihre Kleidung ist nicht bekannt.
Die Polizei bitte dringend um Hinweise zum Aufenthalt der Gesuchten. Infos bitte an das Stadtpolizeikommando Linz unter: 059 133 45 33 33.
Zu Pfingsten 2017 verschwindet eine junge Frau. Ihren Eltern hat sie erzählt, sie wäre über das Wochenende im Kloster. Doch dort ist sie nie aufgetaucht.
Am 7. Juni 2017 melden ihre Eltern die 32-jährige Christine Schwarz als vermisst. Es ist der Mittwoch nach dem verlängerten Pfingstwochenende. Ihren Eltern hat Christine erzählt, sie wolle die Feiertage auf Einkehr im Kloster verbringen. Doch dort ist sie nicht aufgetaucht. Ihren Freunden hat sie von ganz anderen Plänen erzählt – nämlich einer Wanderung. In ihre Wohnung in Linz kehrt Christine aber nie zurück.
Was ist auf dieser Wanderung passiert? Gab es einen Unfall? Ist Christine abgestürzt? So einiges passt nicht zusammen. Reporterin Elisabeth Hofer hat sich auf Spurensuche ins Dachstein-Gebiet begeben und zeichnet ein tiefgehendes Psychogramm der jungen Frau
Ermittler Thomas Löfler vom Landeskriminalamt Oberösterreich fahndete mit Hochdruck nach der 31-Jährigen. Der erste konkrete Hinweis kam einige Tage später aus einer mehr als unerwarteten Richtung: von innerhalb der Polizei. „Es hat sich ein Kollege bei mir gemeldet und erzählt, seine Frau habe ihn auf ein Foto von Frau Schwarz in der Zeitung aufmerksam gemacht und gesagt, sie ist sich ganz sicher, Christine beim Wandern getroffen zu haben.“, erzählt Löfler. Als der Beamte sich daraufhin das Bild angeschaut habe, habe auch er bestätigen können, die junge Frau noch am Dienstag, den 6. Juni 2017, getroffen zu haben - auf einem Wanderweg bei der sogenannten Koppenbrüller-Höhle in der Region Dachstein-Krippenstein.