Bis zu 1000 Mal im Jahr wird jemand in Oberösterreich vermisst gemeldet. Meistens klärt sich die Sache nach wenigen Tagen – und zwar positiv. Doch Markus blieb verschwunden – seit 14 Jahren schon. Seine Mutter und der zuständige Kriminalbeamte erzählen. Ausgabe: 2014/05, Polizei, vermisst, Rohrhuber 28.01.2014 - Matthäus Fellinger Es war Donnerstag. Brigitte Rohrhuber war nach der Arbeit zu ihren Eltern gefahren, da kam der Anruf aus Hallstatt. Markus ist nicht in das Internat zurückgekehrt – ob er vielleicht zu Hause wäre? Seit diesem 11. Mai 2000 ist im Leben der Linzer Buchhalterin alles anders geworden. Es kam kein Lebenszeichen des damals 16-jährigen Internatsschülers mehr.
14 Jahre schon nicht. Einen Brief an die Mutter hat er hinterlegt in seinem Spind. „Er hat sich entschuldigt, dass er geht – und dass er neu anfangen will.“ Das ist die Hoffnung. Nicht von Abschied, von Neuanfang schrieb er. Die Suchaktionen um den See und im Gelände noch in der Nacht und am nächsten Tag blieben erfolglos. Brigitte Rohrhuber und auch Markus’ Vater waren nach Hallstatt gekommen. Die Mitschüler suchten mit, der Leiter des Internats hat in der Nacht ein Fenster offen gelassen – für Markus. Aber er kam nicht – und wurde nicht gefunden.
Die erste Zeit nach dem Verschwinden
Vor allem die ersten Monate waren schlimm für die alleinerziehende Mutter. Warum denn nur? In Englisch hatte er Schwierigkeiten, da ist die letzte Schularbeit schiefgegangen. Andererseits: Markus hatte Geld abgehoben, als hätte er etwas vor. Lebt er? Brigitte Rohrhuber hat diese Hoffnung nie aufgegeben. Markus war schon groß genug, um sich irgendwie durchzuschlagen. Eine Fähigkeit, zu Geld zu kommen, hat er schon als Kind entwickelt. Ein kleiner Händler war er. Immer wieder hat es in all den Jahren Hinweise gegeben. Irgendjemand hätte ihn gesehen. In Linz als Zeitungs-Verkäufer, in Holland, in Deutschland. Die Kriminalpolizei ging allem nach. Aber es waren Verwechslungen. Jede Minute ist ein Gewinn
700 bis 1000 Personen werden in Oberösterreich jährlich vermisst gemeldet. Thomas Löfler ist zuständig für Vermissten-Fahndung am Landeskriminalamt. In fast der Hälfte der Fälle sind es Heimkinder, die abgängig gemeldet werden. Meistens kommen sie nach kurzer Zeit zurück – nach einer Stunde vielleicht, oder ein paar Tagen. Meistens nur. Markus kam nicht mehr. Deshalb ist es wichtig, dass eine Anzeige frühzeitig erfolgt. Das erhöht die Chancen, weiß Löfler – die Chance auf Leben. Besonders wenn es Anzeichen für Suizid gegeben hat, „sind wir schnell da“, sagt er. Da ist jede Minute ein Gewinn. Die Betreuung der Angehörigen sieht Löfler als Hauptaufgabe. Zu zweit sind sie im Team – er und Gerhard Weichselbaum. Trotz aller Professionalität, ihre „Fälle“ gehen den Beamten nahe. Die Mutter zum Beispiel, die erst vor kurzem ihren Mann verloren hat und deren 16-jährige Tochter nun verschwunden ist. Viele zerbrechen an einer solchen Situation. Brigitte Rohrhuber hat in all den Jahren einige ebenfalls Betroffene kennengelernt. Die meisten sind traumatisiert. Warum sie selbst so stark wirkt? „Irgendwann habe ich aufgehört, nach dem Warum zu fragen.“ Das Fenster für Markus steht in ihrem Inneren offen. Sie versucht, ihn sich als heute 30-jährigen Mann vorzustellen. Früher oder später wäre die Ablösung gekommen. Gewünscht hätte sie es sich freilich anders. Erst Monate nach seinem Verschwinden ist ihr dieser eine Satz eingefallen. Es war auf der Linzer Westbrücke, als sie ihn zum Zug Richtung Hallstatt gebracht hat. „Mama, nächsten Freitag komme ich nicht heim.“ Sie dachte, er meine das Wochenende – und ahnte nicht, dass dies der Abschied war. Es sind nicht immer junge Menschen. Gegen Ende ihres beruflichen Lebens brechen Menschen oft zusammen, vor allem wenn auch „privater Stress“ dazukommt – oder eine Krankheit, erzählt Thomas Löfler. Doch es gibt sie: die Momente, da sich etwas zum Guten wendet – wie bei jenem Mann, der an einem Montag verschwunden war, und alles deutete auf Suizid hin. Am Freitag kam er heim. Da rief die Frau aufgeregt an: „Was soll ich mit ihm tun?“ „Geben Sie ihm zu essen und zu trinken. Lassen Sie ihn ankommen. Er wird schon reden“, riet Löfler.
Er grub die Leiche einer jungen Frau aus
Es gibt die Tage, an denen Löfler seinen Beruf nicht mag: So rund zehn Mal im Jahr gilt es die Nachricht zu bringen. Jemand wurde tot aufgefunden. „Du kennst die Familie, du hast eine Beziehung zu ihr.“ Es gibt auch andere schwere Momente – wie 2011, als Löfler die Leiche einer jungen Frau ausgraben musste. Sie war ermordet worden. Es war gerade Schulschluss. Gott sei Dank hat der Polizist nicht gesagt: „Sie wird im Kaffeehaus sitzen und wieder kommen.“ Die Fahndung ist gleich eingeleitet worden. Nur: Da war sie schon tot. Als Polizisten müssen Löfler und sein Kollege immer wieder bald weg von den Angehörigen, um die nächsten Schritte zu setzen. Psychologischer Dienst und Krisenintervention sind da ein Segen. Da gibt es so vieles, was zu klären ist.
Nach langer Zeit
Der älteste Akt, der am Landeskriminalamt nicht geschlossen ist, stammt aus dem Jahr 1971. Eine junge Frau wollte damals in ein Kloster – gegen den Willen der Eltern. Nach der Vorsprache dort verliert sich an der Klosterpforte ihre Spur. Aber erst vor wenigen Jahren gab es einen Hinweis aus Rumänien. Sie könnte dort in einem Kloster leben. Ist jemand volljährig, darf die Polizei einen Kontakt mit der Familie nur mit Zustimmung des Vermissten herstellen. Es kommt vor, dass jemand das nicht will. Das muss respektiert werden, auch wenn die Angehörigen es nicht verstehen können. „Egal was du in den letzten Jahren gemacht und erlebt hast, ich liebe dich. Deine Mum.“ So steht es auf der Internetseite www.markus-rohrhuber.at.tt, die Brigitte Rohrhuber eingerichtet hat. Dann und wann meldet sich jemand – Frauen, die mit ähnlichen Situationen zu ringen haben. Wenn sie kann, hilft sie.
Bez.Insp. Thomas Löfler ist seit 2005 für die Vermissten-Fahndung am Landeskriminalamt Linz zuständig. „Eine gute Atmosphäre unter den Beamten und mit den Vorgesetzten ist wichtig, denn in diesem Beruf gibt es viel, was man sich von der Seele reden muss“, erzählt Löfler. Und: Niemand soll Scheu haben anzurufen. „Lieber einmal zu viel als zu wenig.“ Auch Pfarren können Angehörigen eine gute Stütze sein. „Kinder sind eine Leihgabe. Sie gehören uns nicht. Als ich das akzeptieren konnte, war es leichter für mich.“ Brigitte Rohrhuber