Die Revision im Strafrecht:Ein überschätztes Rechtsmittel!Gefahr für den Rechtsstaat?
Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Dr. Jesko Baumhöfener veröffentlichen zu können. Der Autor ist als Strafverteidiger in Hamburg tätig.
Er berichtet heute über die Gefahren für den Beschuldigten, der erstinstanzlich vor dem Landgericht angeklagt wird und dem damit lediglich das Rechtsmittel der Revision zu Verfügung steht. Seinen Fokus richtet er dabei auf die Konstellation „Aussage-gegen-Aussage“. Die strafrechtliche Revision im Allgemeinen gilt als schwierig, weil an die Fertigung insbesondere von Verfahrensrügen seitens der Revisionsgerichte hohe Anforderungen gestellt werden. Kleinste Fehler können zur Unzulässigkeit des Revisionsangriffs führen und den gesamten Revisionsvortrag zu Fall bringen.
Das Rechtsmittelsystem in Strafverfahren
Diese hohe Anforderung an die sachgerechte Fertigung einer Revision sowie das Rechtsmittelsystem in Strafverfahren bedeuten für den Angeklagten schwerer Straftaten ein hohes Risiko. Werden leichte bis mittelschwere Straftaten Delikte – wie beispielsweise Diebstahl, Hehlerei oder Betrug – in der Regel vor dem Amtsgericht verhandelt, wird die schwere Kriminalität – wie z.B. Tötungsdelikte und andere schwere Gewaltverbrechen – erstinstanzlich von einem Landgericht beurteilt. Aber auch Sexualdelikte mit zum Teil hohen Strafandrohungen werden regelmäßig vor dem Landgericht angeklagt.
Im Unterschied zu Tötungsdelikten bzw. Gewaltverbrechen, bei denen denklogisch ein verletzter oder gar getöteter Mensch entsprechende (objektive) Beweisspuren liefert, kommt es bei der Bewertung von Sexualstraftatbeständen häufig auf die Bewertung einer einzigen Aussage an. Schweigt der Angeklagte zu dem entsprechenden Vorwurf oder bestreitet er diesen, handelt es sich in Ermangelung anderer (objektiver) Beweismittel um die Konstellation „Aussage gegen Aussage“. Das Gericht glaubt also entweder dem Belastungszeugen oder dem Angeklagten.
Die Revision ist keine Tatsacheninstanz
Die oben erwähnte Gefahr für den Angeklagten besteht nun darin: Verurteilt das Landgericht den Angeklagten beispielsweise wegen einer Vergewaltigung, wobei hier mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren in der Regel eine Gefängnisstrafe ausgesprochen wird, hat der Angeklagte nur einmal die Gelegenheit, das Urteil anzugreifen und so die Rechtskraft zu hemmen. Und zwar mit dem Rechtsmittel der Revision. Das Revisionsverfahren bietet jedoch im Gegensatz zu der Berufung keine zweite Tatsacheninstanz.
Amtsgerichtliche Urteile können zusätzlich mit der Berufung überprüft werden. Gegen das Berufungsurteil kann wiederum Revision einlegt werden. Dem Angeklagten vor dem Amtsgericht wird mit der Berufungshauptverhandlung somit eine zweite Tatsacheninstanz gewährt. Er hat also zwei Chancen, ein Urteil, mit dem er nicht einverstanden ist, von einem anderen Gericht überprüfen zu lassen. Und vor allem und noch wichtiger: Zwei Tatsacheninstanzen mit einer kompletten Beweisaufnahme.
Eine Anklage vor dem Landgericht bedeutet demnach für den Angeklagten, dass er nur einmal in den „Genuss“ einer vollständigen Beweisaufnahme kommt, in der z.B. Zeugen gehört, Sachverständige um Rat gefragt oder Beweismittel in Augenschein genommen werden. Ist er mit dem Urteilspruch nicht einverstanden, bleibt ihm nur das Rechtsmittel der Revision.
Die Revision im Strafrecht ist ein rein formales Verfahren
Das Revisionsgericht prüft lediglich, ob das Urteil materiell-rechtlich richtig ist und verfahrensrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Die Revision im Strafrecht ist ein rein formales Verfahren. Insofern ist nach wie vor die Frage, „wie es gewesen ist“, nicht Sache des Revisionsrichters. Nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen kommt es zu einer Revisionshauptverhandlung. Auch hier werden nicht Tatsachen, sondern lediglich Rechtsfragen erörtert. Eine Belastungsaussage wird hier nicht erneut aufgenommen. Überprüft wird sie vom Revisionsgericht nur darauf, ob sie vom Tatgericht fehlerfrei gewürdigt wurde.
Erfolgsaussichten der Revision von Aktivität des Instanzverteidigers abhängig
Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Verteidigungsaktivitäten in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht die Erfolgsaussichten der Revision maßgeblich mitbestimmen. Sofern der Verteidiger in der Hauptverhandlung keine (Beweis-) Anträge gestellt hat, die das Landgericht hätte fehlerhaft bescheiden können, sofern kein Widerspruch gegen Beweisverwertungen erhoben oder kein Gerichtsbeschluss herbeigeführt wurde, fällt es auch dem fähigsten Revisionsverteidiger schwer, formelle Fehler des tatgerichtlichen Urteils zu rügen. Ganz einfach deswegen, weil das Landgericht unter diesen Vorrausetzungen nicht erst in die Verlegenheit kommt, fehlerhaft zu entscheiden.
Kein Wortprotokoll am Landgericht
Wichtig ist ferner, dass vor dem Landgericht im Gegensatz zur amtsgerichtlichen Verhandlung kein Wortprotokoll geführt wird. Alles, was der womöglich einzige Belastungszeuge sagt, bleibt der Interpretation des Landgerichts vorbehalten. Die Aussage des Belastungszeugen selbst ist nicht angreifbar, auch wenn bereits von der Polizei aufgenommene Aussagen einen völlig anderen Inhalt haben. Strafverteidiger berichten insofern bei Kenntnisnahme der Urteilsbegründung immer wieder von dem Gefühl, sich im falschen Film befunden zu haben, weil sämtliche kritische Momente der Belastungsaussagen entweder ignoriert oder toleriert werden.
Wird der Angeklagte also mit dem Vorwurf konfrontiert, eine andere Person – meistens eine Frau – vergewaltigt zu haben und existieren keine weiteren Beweismittel, ist er dem Wohl und Wehe des Gerichts überlassen. Hat er keinen engagierten Strafverteidiger, der bei bestreitender Einlassung auf die Defizite der Belastungsaussage aufmerksam macht und sieht er sich nicht einer erfahrenen Strafkammer gegenüber, die entsprechende Defizite und Widersprüche zu würdigen weiß, kann er seiner Existenz beraubt werden. Dass hier keine Missverständnisse aufkommen: Vergewaltigungsverbrechen werden verübt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch – und dies ist ebenso zu bedauern – falsche Belastungen.
Nur 3 % aller Revisionen erfolgreich
Sieht der Angeklagte sich einer solchen falschen Verdächtigung gegenüber, folgt das Gericht dem Vortrag des Belastungszeugen und hat der Verteidiger vor dem Landgericht keinerlei Aktivität entfaltet, kann dem Angeklagten das Rechtsmittel der Revision im Strafrecht nicht mehr als einen vagen Hoffnungsschimmer bieten. Die Autoren eines bekannten Buches über die Verteidigung im Revisionsverfahren meinen, dass das Rechtsmittel der Revision nur in 3 % aller Fälle Erfolg hat und also zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils führt (Schlothauer/Wieder, Die Revision im Strafverfahren, 2. Aufl. 2013, S. 1). Dies meint die Erfolgsquote aller eingelegten Revisionen und nicht nur die von Sexualdelikten in der Konstellation „Aussage gegen Aussage“. In dieser Konstellation sind die Anforderungen an die Beweiswürdigung des Tatgerichts zwar erhöht, dennoch bleibt auch hier der Revision der Erfolg häufig versagt. Dies kann zwar auch daran liegen, dass einiger Verteidiger das Rechtsmittel der Revision entweder nicht ernst nehmen und entsprechend vortragen, oder ihnen schlicht die Kompetenz oder Zeit fehlt, (Verfahrens)-Rügen sachgerecht zu begründen. Gerade das beinhaltet aber einen Aspekt der oben angesprochenen Gefahr: dass der Angeklagte mit dem einzigen Rechtsmittel, welches ihm gegen landgerichtliche Urteile zur Verfügung steht, viel zu sehr auf die Kompetenz der professionellen Verfahrensbeteiligten angewiesen ist. Weisen diese die entsprechende Kompetenz nicht auf, kann er in einer zweiten Tatsacheninstanz nicht auf mehr Sachverstand bauen, weil ihm diese nicht gewährt wird.
Forderungen nach einem Wortprotokoll oder einer Videodokumentation
Reformüberlegungen gehen z.B. dahin, auch am Landgericht ein Wortprotokoll einzuführen oder die gesamte Verhandlung sogar per Videoaufnahmen zu dokumentieren, um so zu verhindern, dass die Überprüfung der Aussagen der Belastungszeugen durch das Revisionsgericht von vorneherein vereitelt ist. Überlegenswerte Bestrebungen, die für den Angeklagten gerade in der Konstellation „Aussage gegen Aussage“ ein Stück mehr Sicherheit bedeuten würden. In Verfahren also, in denen das Damoklesschwert der Gefängnisstrafe und damit der (zumindest vorübergehenden) Vernichtung der gesellschaftlichen Existenz von Anfang an über ihnen schwebt.
Tatrichter können auch Fehlurteile „revisionsfest“ begründen
„Ein tatrichterliches Urteil ist nicht schon deshalb ein wahres und gerechtes Urteil, weil es sich durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts rechtskräftig geworden ist.“
Anders ausgedrückt:
„Ein Tatrichter kann auch Fehlurteile „revisionsfest“ begründen“
(insgesamt: Hamm, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl. 2010, S. 3).
Diese Feststellung ist eines Rechtsstaates unwürdig.