Im ehemaligen Elmshorner „Karstadt-Haus“ werden gleich zwei alleinstehende Rentnerinnen ermordet. Im Abstand von 14 Jahren. Beide Taten sind bis heute ungeklärt.
von Albert Lampe
08. Februar 2015, 17:18 Uhr
Elmshorn | Elmshorn, Holstenplatz. Ein Wohnblock aus den 60er-Jahren. Unten Restaurants und Geschäfte, darüber sieben Stockwerke. Kleine Wohnungen, viel Beton, wenig Licht und ein gut gemeinter blassroter Außenanstrich. Auf den Fluren links und rechts Türspione. So selbstverständlich wie Begegnungen mit Fremden in diesem Haus. Das ehemalige Karstadt-Gebäude mitten im Stadtzentrum von Elmshorn war im Abstand von 14 Jahren Schauplatz von gleich zwei ungeklärten tödlichen Verbrechen. Die Opfer in beiden Fällen: alleinstehende Witwen.
Der Fall Ilse Baetke
Weitaus vielsprechender – wenn auch nur auf den ersten Blick – hatten sich die Ermittlungen im Fall des Raubmordes an Ilse Baetke vor fünf Jahren entwickelt. Die 89-Jährige war am Vormittag des 12. Februar 2010 von zwei jungen Frauen an ihrer Haustür überrumpelt, gewürgt und gefesselt worden. Beide hatten sich als Boten des GLS-Paketdienstes ausgegeben und waren entsprechend gekleidet. Eine der Täterinnen hob kurz darauf 810 Euro vom Konto der Witwe bei der nahe gelegenen Elmshorner Sparkasse ab. Die Kamera des EC-Automaten hielt ein nur sehr schemenhaftes Bild einer jungen Frau mit schwarzer Mütze und großer Sonnenbrille fest. Ihre Komplizin hatte die Rentnerin so lange in der Wohnung in Schach gehalten, um sicher zu gehen, dass sie auch die richtige Geheimnummer der EC-Karte erfahren hatten. Dann raubten beide der alten Dame noch eine Reihe wertvoller Schmuck-Gegenstände und pferchten sie schließlich in der engen Wanne ihres kleinen Badezimmers ein.
Zwar konnte die 89-Jährige sich von ihren Handfesseln und ihrer Augenbinde befreien, war jedoch zu schwach, um sich selbst aus der Wanne zu ziehen oder nach Hilfe zu schreien. „Es grenzt schon an ein kleines Wunder, dass die alte Dame in ihrem hochgradig geschockten Zustand so lange ohne Essen und Trinken überlebte“, sagt Hauptkommissar Klein. Denn erst drei Tage nach dem Überfall hatte eine Freundin von Ilse Baetke Verdacht geschöpft und den Hausmeister alarmiert. Aufgrund der schweren körperlichen und seelischen Schäden verstarb die ehemalige Spielhallen-Aufseherin einige Wochen später in einem Pflegeheim.
Die fieberhaften Ermittlungen der Kripo Itzehoe führten bereits nach wenigen Monaten zu einer Festnahme. Der Fall hatte – nicht zuletzt durch die Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst…“ bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Eine junge Deutsch-Türkin aus Elmshorn war aufgrund von belastenden Hinweisen aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreises ins Visier der Fahnder geraten. Es kam zu einer Mord-Anklage und schließlich zum Prozess vor dem Landgericht Itzehoe. Der allerdings endete im September 2011 mit einem wenig überraschenden Freispruch.
Bei der Angeklagten handelte es sich zum einen nachweislich nicht um die Frau auf der Überwachungskamera, aber noch entscheidender war: Die ursprünglichen Belastungszeugen hatten ihre Aussagen vor Gericht nicht aufrecht erhalten. „Dementsprechend blieb am Ende selbst der Staatsanwaltschaft nichts anderes übrig als auf Freispruch zu plädieren“, erinnert sich Klein. Auch wenn viel dafür spricht, dass die wahren Täterinnen zumindest im Umfeld der damals 25-Jährigen zu suchen sind – der entscheidende Durchbruch ist der Kripo bis heute nicht geglückt.
Deshalb setzen die Beamten ihre Hoffnung unter anderem darauf, dass einige Stücke des gestohlenen Schmucks irgendwo wieder auftauchen und so Hinweise zu den wahren Schuldigen liefern.
Rätselhaft für die Polizei auch bis heute: Wie wurden die Täterinnen ausgerechnet auf Ilse Baetke aufmerksam? Die 89-Jährige galt, obwohl sie auf den Rollator angewiesen war, als äußerst unternehmungslustig. Hin und wieder besuchte die Rentnerin auch noch ihre alte Arbeitsstätte in einer Spielhalle. Die Polizei schließt nicht aus, dass dort jemand möglicherweise auf ihren Schmuck aufmerksam wurde.
Die beiden ungeklärten Verbrechen machen für Klein und seine Kollegen vor allem deutlich, wie wichtig gerade für alleinstehende Menschen neben guten Kontakten zu Nachbarn auch einfachste Sicherheitsvorkehrungen seien können. „Natürlich hat kaum jemand eine Chance gegen einen so perfiden Trick wie mit dem Paketdienst. Aber eine Kette vor der Tür als zweites Schloss ist immer ratsam – im Zweifel kann man sich auf diese Weise auch den Dienstausweis eines Paketfahrers zeigen lassen“, rät Klein. Hilfreich seien auch sogenannte Hausnotruf-Systeme mit Bestätigungstaste, die täglich zu einer bestimmten Zeit gedrückt werden muss. Geschehe dies nicht, werde Alarm ausgelöst. Bisweilen übernimmt sogar die Pflegekasse einen Teil der Kosten eines solchen Notruf-Systems.
Elmshorn/Itzehoe | Eklat im Gerichtssaal: Die Anwälte der Elmshornerin Lale Y., die für den Holstenplatz-Mord an der Rentnerin Ilse B. verantwortlich gemacht wurde, werfen den Ermittlern schwerwiegende Fehler vor. Lale Y. soll als Paketbotin verkleidet das 89-jährige Opfer im Februar 2010 brutal überfallen und ausgeraubt haben. Gestern sprach das Gericht die Angeklagte frei.
"Es ist der Albtraum eines jeden Mitbürgers, verhaftet zu werden und 2600 Seiten Akten gegen sich zu haben. Und die wichtigsten Beweismittel werden nicht überprüft", sagte Verteidigerin Ina Franck in ihrem Plädoyer. Es sei nur die Hälfte der Ermittlungen geführt worden, so die Rechtsanwältin. Man habe sich zu früh auf ihre Mandantin festgelegt. "Sie war an dieser furchtbaren Tat nicht beteiligt. Hier gibt es schlicht nichts, keine Beweise", schloss sie - und forderte den Freispruch. Der zweite Anwalt der Angeklagten, Ingo Voigt, teilte diese Meinung. Er sprach von einem "erschütternden Bild der Ermittlungsarbeiten. Derart fahrlässig habe ich das bei einem so schweren Vorwurf noch nicht erlebt - und wünsche es auch keinem anderen."
Staatsanwältin Sarah Führer hingegen sprach in Hinblick auf die drei Belastungszeugen, die ihre Aussagen zurückgezogen hatten, von einem "ungewöhnlichen Phänomen" - und ließ durchaus durchblicken, dass sie Zweifel an den Behauptungen der wichtigen Zeugen hatte. Die hatten in der Verhandlung plötzlich von Erinnerungslücken gesprochen, von Filmrissen nach etwas Alkohol und von dubiosen Polizeimethoden berichtet. Viele Indizien, wie die am Tatort gefundenen Faserspuren, die zu einer Jacke der Angeklagten gehören könnten, würden wohl ungeklärt bleiben. "Es ist unbefriedigend, für solch eine brutale Tat keinen Täter zu haben", sagte Führer, doch auch sie forderte Freispruch.
Nach nur einer halbstündigen Beratung verkündete der Vorsitzende Richter Eberhard Hülsing den Freispruch für Lale Y. Allerdings verteidigte er das Vorgehen der Ermittler. "Es ist ja nicht so, dass eine offenkundig Unschuldige verfolgt und in U-Haft genommen wurde", sagte er.
In seiner Begründung für den Freispruch verwies Richter Eberhard Hülsing nochmals auf die Bekannten der Angeklagten, die sie in ihren Aussagen bei der Polizei maßgeblich belastet hatten. "Die Leute aus Ihrem Umfeld haben dazu beigetragen, dass Sie in U-Haft genommen wurden", sagte Hülsing in Richtung der Angeklagten. "Vieles spricht dafür, dass Sie leichtfertig beschuldigt wurden." Gleichwohl räumte er ein, dass die Ermittler offenbar auch Fehler gemacht hatten. "Wenn Sie damit nichts zu tun hatten, dann tut es mir wirklich leid. Ich entschuldige mich im Namen der Justiz", so der Richter. Seit April dieses Jahres hatte Lale Y. in U-Haft gesessen, dafür soll die Elmshornerin nun entschädigt werden.
Trotzdem ließ Hülsing durchblicken, dass nicht endgültig geklärt werden könne, ob die 25-Jährige nun an der Tat beteiligt war, oder nicht. Schließlich seien tatsächlich zahlreiche Indizien nicht endgültig ausgewertet worden - und, glaubt man den Zeugen, die ihre Aussagen plötzlich zurückgezogen hatten, dann hat sich die einstige Angeklagte tatsächlich nach Kleidung des Paketdienstes GLS erkundigt, die die Täter später bei dem Überfall getragen haben. Nichts davon könne jedoch als überführender Beweis gelten.
Bezeichnend für die gesamte Verhandlung gegen Lale Y. war die Aussage der letzten Zeugin, Yvonne L., die gestern zum Gericht zitiert worden war. Auch gegen sie wird in dem Fall noch ermittelt - wie auch gegen einige andere potenzielle Täter, die bereits als Zeugen aussagen sollten. Auch Yvonne L. erschien, nicht als einzige Zeugin, in Begleitung ihres Rechtsanwalts. Nur, um sich schließlich nicht zu der Sache zu äußern, weil sie sich womöglich selbst belasten müsste. Wie bereits mehrere Zeugen vor ihr. "Die Fragen, die zulässig wären, würden uns nicht weiterbringen", sagte Staatsanwältin Sarah Führer etwas resigniert. Ob die Ermittlungen, die gegen die zahlreichen potenziellen Täter noch geführt werden, jemals von Erfolg gekrönt werden, bleibt abzuwarten.
Mit der gestohlenden EC-Karte von Ilse Baetke hob eine Frau bei der Elmshorner Sparkasse 810 Euro ab. Die Kamera des Geldautomaten hielt ein nur sehr schemenhaftes Bild einer jungen Frau mit schwarzer Mütze und großer Sonnenbrille fest.