Werden Tatverdächtige nach einem Gerichtsverfahren freigesprochen, können sie für die Zeit in U-Haft entschädigt werden. Der Mordfall Hassel ist ein Beispiel.
Der Freispruch hatte im März 2015 viel Aufsehen erregt: Nachdem drei Männer zunächst wegen des gemeinschaftlichen Mordes am wohlhabenden Rentner Camille K. an Allerheiligen 2010 in Hassel in erster Instanz zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren, sprach das Berufungsgericht sie in zweiter Instanz überraschend frei.
Im Zweifel für den Angeklagten urteilten die Berufungsrichter. Der Freispruch ist rechtskräftig und somit endgültig. Die Verdächtigen können wegen Mordes in diesem Fall nie wieder belangt werden.
Die Rue Killebierg in Hassel wird wohl auf ewig mit diesem Verbrechen in Verbindung stehen. Das Haus des Opfers befand sich in der oberen Hälfte der Straße. Mittlerweile ist es abgerissen worden.
Sie gelten nach dem Freispruch also als unschuldig. Und da sie dementsprechend auch zwischen dreieinhalb und vier Jahren zu Unrecht in Untersuchungshaft saßen, stand ihnen auch eine staatliche Entschädigung zu.
Dass es eine solche gab, war bekannt. Aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage ist nun allerdings auch die Höhe der gezahlten Schadenersatzsumme in Erfahrung zu bringen. Der LSAP-Abgeordnete Dan Biancalana hatte sich beim Justizminister Félix Braz allgemein über die Zahlen, Vorgänge, Prozeduren und Beträge im Zusammenhang mit Entschädigungen für zu Unrecht verbüßte Untersuchungshaft erkundigt. Zwischen 1.042 und 1.463 Tagen in Untersuchungshaft
In einer Liste von 104 gezahlten Ausgleichszahlungen an insgesamt 115 Personen stechen im Jahr nach dem Hassel-Freispruch drei Beträge besonders ins Auge.
Einer Person, welche 1.042 Tage in Untersuchungshaft verbrachte, wurden 563.100 Euro Schmerzensgeld ausgezahlt. Dazu kommen 40.000 Euro Schadenersatz für materielle Verluste. Bei einer zweiten Person, welche 1.242 Tage inhaftiert war, wurden 563.100 Euro an moralischem Schadenersatz und 72.392 an materiellem Ausgleich gezahlt. Eine dritte Person erhielt nach 1.463 Tagen in Untersuchungshaft 585.200 Euro als Wiedergutmachung und 20.000 Euro für materielle Verluste. Das ergibt für die drei Personen einen Gesamtbetrag von 1.843.792 Euro.
Wie aus der Antwort des Justizministers weiter hervorgeht, müssen drei Bedingungen erfüllt sein, um Ausgleichszahlungen beanspruchen zu können. Das Verfahren muss entweder eingestellt oder mit einem rechtsgültigen Freispruch beendet worden sein. Eine Entschädigung steht aber auch demjenigen zu, der auch nach der Verjährung der ihm zur Last gelegten Tat weiter in Untersuchungshaft festgehalten wurde. Tagespauschale als Grundlage
Die zu zahlende Summe wird aufgrund einer Einschätzung des moralischen und materiellen Schadens festgelegt, den ein zu Unrecht beschuldigter und freigesprochener Verdächtiger erlitten hat. Aus Gründen der Gleichheit vor dem Gesetz dient eine Tagespauschale als Grundlage. Diese wird dann an die Eigenheiten des jeweiligen Verfahrens angepasst.
Das Opfer, ein 69-jähriger Mann, war in der Nacht zum 1. November 2010 in seinem Zuhause in Hassel im Schlaf mit einer Axt erschlagen worden.
Die Entscheidung zur Höhe der Entschädigung wird von einer speziellen Justizkommission getroffen, welche etwa die familiäre Situation des Betroffenen bei seiner Verhaftung, dessen körperliche und mentale Gesundheit, die Haftbedingungen und die öffentliche Bekanntheit seiner Inhaftierung in Betracht zieht. Durchschnittlich 138 Euro pro Tag Inhaftierung
In den vergangenen zehn Jahren wurden von 104 Anträgen zwei zurückgewiesen, eine Entscheidung steht noch aus und in zwei weiteren Fällen wurde für die Gesamtdauer der Haft je ein Pauschalbetrag festgelegt. Bei den verbleibenden 99 Fällen schwankt der Tagesbeitrag zwischen 40 und 700 Euro. Der Durchschnitt liegt bei rund 138 Euro pro Tag in Untersuchungshaft.
Wer mit dem ihm zugestandenen Betrag nicht einverstanden ist, kann rechtlich gegen die Entscheidung der Kommission vorgehen. In den vergangenen zehn Jahren haben dies 13 Betroffene getan. Seit Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen zum Jahresende 1981 war dies in insgesamt 26 Fällen der Fall. Über den Ausgang dieser Anträge ist nichts bekannt. Hintergrund: Der Mord an Camille K.
An Allerheiligen im Jahr 2010 wird der 69-jährige Rentner Camille K. tot in einem Bett in seinem Wohnhaus in der Hasseler Rue Killebierg aufgefunden. Der Mann ist mit einer Axt erschlagen worden. Die Tatwaffe liegt gereinigt im nahegelegenen Badezimmer in der Wanne. Auf einem Tisch im Nebenzimmer ist eine schwere Bibel aufgeschlagen. In ihr steckt ein Küchenmesser, auf einer Seite steht großflächig „pédofile“ (sic) geschrieben. Die ganze Szenerie scheint einem Kriminalroman entsprungen.
Die Ermittlungen nehmen ihren Lauf. Die „pédofile“-Spur wird von der Kriminalpolizei rasch als bewusst gelegte falsche Fährte eingeordnet. Im März 2011 werden drei Tatverdächtige verhaftet. Darunter befinden sich der inzwischen zum Adoptivsohn avancierte ehemalige Lebenspartner des Opfers sowie dessen damaliger Lebensgefährte. Einem dritten Mann wird vorgeworfen, den Mord im Auftrag der beiden Erstgenannten ausgeführt zu haben. Nach einem Indizienprozess werden alle drei im Januar 2014 zunächst zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Die Angeklagten gehen nach dem Urteil in Berufung. Mit Erfolg: In zweiter Instanz folgt nämlich im März 2015 der Freispruch. Der Appellationshof befindet die Indizienlast nämlich am Ende nicht ausreichend, um den Dreien den Mord zweifelsfrei nachzuweisen. Zudem wird moniert, es seien nicht alle Fährten ausreichend ermittelt worden. Es werden neue Ermittlungen gegen andere mögliche Verdächtige angeordnet, welche aber bislang kein Ergebnis erbracht haben. Der „Hasseler Mord“ gilt demnach als ungeklärt.