Aachen/Köln – Der Rechtsanwalt einer erfundenen Nebenklägerin im Münchner NSU-Prozess steht von Freitagmorgen (9 Uhr) an in Aachen vor Gericht. Er ist unter anderem wegen Betrugs angeklagt.
Der Anwalt soll beim NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München ein Opfer des Nagelbombenanschlags vom Juni 2004 in der Kölner Keupstraße vertreten haben. Dieses Opfer hatte es in Wirklichkeit aber gar nicht gegeben.
Dafür soll der Rechtsanwalt von 2013 bis 2015 zu Unrecht Zahlungen von insgesamt mehr als 200.000 Euro erhalten haben, wie das Landgericht Aachen mitteilte.
Der Angeklagte aus Eschweiler bestreitet die Vorwürfe. Er habe nicht gewusst, dass das Opfer gar nicht existierte.
Ein echter, mittlerweile verstorbener Nebenkläger im NSU-Prozess soll dem 52 Jahre alten Anwalt gefälschte Unterlagen des angeblichen Opfers gegen eine Provision angeboten haben.
Für den Prozess sind elf Verhandlungstage bis Ende November angesetzt.
Im Gedenken an die Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vor mittlerweile 16 Jahren will die Stadt ein Mahnmal errichten.
************************************************************************* *Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht* Mark Aurel *What goes arount - comes arount * Critical questioning never harms* *********************************************************************************** *Hervorhebung in Kommentaren durch den Verfasser *Äusserungen zu Fällen sind rein spekulativ*
Prozess wegen erfundenem NSU-Opfer "Hört sich jetzt doof an"
Er vertrat im NSU-Prozess ein erfundenes Opfer und kassierte dafür Honorare, deshalb steht Rechtsanwalt Ralph Willms selbst vor Gericht. Nun sagte ein weiterer Anwalt aus.
Von Wiebke Ramm, Aachen 12.08.2020, 20.44 Uhr
Es läuft gut für den Angeklagten an diesem Tag vor dem Landgericht Aachen. Anwalt Ralph Willms muss sich unter anderem wegen Betrugs vor Gericht verantworten.
Der Anwalt aus Eschweiler soll im NSU-Prozess eine Nebenklägerin vertreten haben, die es nie gegeben hat.
Im Loveparade-Verfahren soll er laut Anklage das Mandat einer Nebenklägerin ohne deren Wissen und Zustimmung an einen anderen Anwalt, Mustafa Kaplan, abgegeben haben. An diesem Mittwoch geht es um die Nebenklägerin des Loveparade-Prozesses. Die Frau, 28, soll sich vor Gericht zu ihrem Kontakt mit Willms im Jahr 2014 äußern.
"Viel weiß ich nicht mehr", sagt sie gleich zu Beginn. Sie sei damals in der Kanzlei von Willms gewesen, habe sich mit ihm unterhalten und auch etwas unterschrieben. Willms habe gesagt, er melde sich. "Dazu kam es dann aber nicht." Worüber sie mit dem Anwalt gesprochen hat, wisse sie nicht mehr. Ob sie dem Anwalt Unterlagen gegeben habe, erinnere sie nicht. Welche und wann schon gar nicht. Die Zeugin kann wenig mit Sicherheit sagen. Einen Anwalt namens Mustafa Kaplan habe sie jedenfalls nie getroffen und seinen Namen auch erst im Nachhinein gehört.
Bei der Polizei hatte die Zeugin es noch anders dargestellt. Die Richterin verliest Auszüge aus dem Vernehmungsprotokoll. Demnach soll Willms ihr gesagt haben, dass er sie nicht vertreten könne, ihr Mandat aber an den Kollegen Kaplan weitergebe. "Gab es solche Information?", fragt die Richterin: "Es ist wichtig, dass Sie sich genau erinnern." Die Zeugin schwimmt. "Hört sich jetzt doof an", sagt sie: "Vielleicht hat er das gesagt, ich kann mich daran aber nicht erinnern."
Dann betritt Mustafa Kaplan, 52, den Gerichtssaal. Der Anwalt aus Köln ist es gewohnt, vor Gericht zu sprechen. Derzeit verteidigt er Stephan Ernst, den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke. Kaplan hat einen Anwalt mitgebracht.
Die Richterin belehrt Kaplan, dass er die Wahrheit sagen muss, aber auf einzelne Fragen schweigen darf, wenn er Gefahr läuft, sich selbst zu belasten. Die Staatsanwaltschaft Köln hatte in dieser Sache Anklage wegen versuchten Betrugs gegen Kaplan erhoben, das Amtsgericht Köln hatte die Anklage nicht zugelassen. Das Verfahren könnte bei neuen Anhaltspunkten wieder aufgenommen werden. Doch Kaplan will nicht schweigen.
"Ich habe aber keine konkrete Erinnerung"
Er erzählt von dem NSU-Prozess in München. Kaplan war Nebenklagevertreter. Irgendwann habe er Willms kennengelernt. Seiner Erinnerung nach habe dieser ihn in München etwa im Herbst 2014 auf das Loveparade-Verfahren angesprochen. Willms habe gesagt, er habe mehrere Mandatsanfragen, und gefragt, ob Kaplan das mit ihm zusammen machen wolle. Kaplan habe zugestimmt. Anfang 2015 sei Willms dann zu ihm in die Kanzlei nach Köln gekommen, habe ihm die Vollmacht und weitere Unterlagen einer Mandantin gegeben. "Ich habe im Kopf, dass er gesagt hat, er habe das mit ihr alles besprochen. Sie weiß Bescheid, dass ich das weitermachen soll."
Kaplan habe dann beim Landgericht Duisburg die Zulassung der Nebenklage beantragt. Er sagt, er gehe davon aus, dass er der Mandantin alle Schreiben in Kopie geschickt habe, "weil ich das immer mache". Konkrete Erinnerung daran habe er nicht. Auch Kaplan sagt, dass er die Mandantin "tatsächlich nie getroffen" hat.
Die Richterin fragt, wie es zu der Vollmacht mit der Unterschrift der Mandantin und Kaplans Kanzleistempel gekommen sei. Kaplan kann es nicht mehr sagen. "Gibt es so etwas wie eine Blankovollmacht, wo man hinterher dann den Stempel draufmacht?", fragt die Richterin. "Das ist rein theoretisch möglich", sagt Kaplan. "Ich habe aber keine konkrete Erinnerung, wie das in diesem Fall war."
Der Oberstaatsanwalt fragt, wie es dazu kam, dass Kaplan am 12. Oktober 2015 das Loveparade-Mandat niederlegte.
Kaplan berichtet von dem SPIEGEL-Bericht, durch den der Schwindel um Willms' falsche Nebenklägerin am 2. Oktober 2015 aufflog. Er habe daraufhin Willms angerufen und ihm gesagt, dass sich die Loveparade-Mandantin nie bei ihm gemeldet, auch seine Briefe nicht beantwortet habe. Wie Willms darauf reagiert hat, sagt Kaplan nicht. Er wird auch nicht gefragt. Kaplan sagt, er habe das Loveparade-Mandat dann "zeitnah" niedergelegt. Der Oberstaatsanwalt fragt noch einmal: "Was war für Sie der Grund, das Mandat niederzulegen?" "Sie hat auf mein Schreiben nicht reagiert", sagt Kaplan. Von plötzlich aufkommendem Misstrauen gegenüber Willms, von Zweifeln sagt er nichts.
"Gab es für Sie irgendetwas Ungewöhnliches an dem Vorgang?", fragt Willms' Verteidiger Peter Nickel schließlich - und fasst zusammen: "Willms fragt, ob Sie ein Mandat übernehmen möchten. Sie treffen sich in Ihrem Büro. Er übergibt Ihnen Schriftstücke. Gab es irgendetwas, wo Sie gedacht haben: Das ist komisch, das ist anrüchig?" "Aus meiner Sicht war das ein ganz normaler Vorgang", sagt Kaplan. "Für mich war da überhaupt nichts Ungewöhnliches oder Problematisches an diesem Vorgang."
Monatliche Raten in Höhe von 1500 Euro
Zu Beginn des Verhandlungstages hatte die Vorsitzende Richterin bekannt gegeben, dass die Frau, die Willms im NSU-Verfahren für seine Mandantin Meral Keskin gehalten haben will, im April 2020 gestorben ist.
Nach Willms' Darstellung soll das echte Opfer des NSU, Atilla Ö., ihn über die Existenz seiner angeblichen Mandantin getäuscht haben. Er soll Willms seine Mutter, Sennur Ö., als Meral Keskin vorgestellt haben. Beide können sich dazu nun nicht mehr äußern. Denn Atilla Ö. starb vor seiner Mutter, bereits im September 2017. Im Ermittlungsverfahren hatte er gesagt, Willms habe immer gewusst, dass es Meral Keskin nicht gibt.
Mehr als 211.000 Euro hatte Willms für seine Tätigkeit erhalten, als der Schwindel aufflog. Vor dem Landgericht Aachen gibt die Richterin an diesem Tag bekannt, dass der Anwalt – anders als es zuletzt klang – von dem Geld nicht erst lediglich 1500 Euro zurückgezahlt hat, sondern deutlich mehr.
Aktuell sei noch ein Restbetrag von rund 145.000 Euro offen, den Willms in monatlichen Raten in Höhe von 1500 Euro abbezahle.
************************************************************************* *Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht* Mark Aurel *What goes arount - comes arount * Critical questioning never harms* *********************************************************************************** *Hervorhebung in Kommentaren durch den Verfasser *Äusserungen zu Fällen sind rein spekulativ*