Rietberger Raubmord: Tatverdächtiger Zeuge sagt endlich aus Piotr L. will nach eigenen Angaben der Fahrer eines Fluchtautos gewesen sein
Nils Middelhauve
25.10.2018 | Stand 25.10.2018, 18:11 Uhr
Rietberg/Bielefeld. Ausreichend Bedenkzeit hatte er ja. Mehrere Monate hatte es gedauert, bis das Bielefelder Landgericht die Überstellung des in polnischer Strafhaft sitzenden Piotr L. nach Deutschland erreicht hatte, um diesen als Zeugen zu vernehmen. Am vorangegangenen Verhandlungstag vor der I. Großen Strafkammer des Landgerichts hatte L. weitere Beratungszeit mit seinem Berliner Rechtsanwalt Damian Jakubek erbeten, die ihm letztlich auch zugebilligt wurde.
Nun sagte L., gegen den wegen dieses Überfalls ebenfalls ein Verfahren wegen Mordverdachts anhängig ist, etwas überraschend und nach eigenen Angaben gegen den Rat seines Anwalts doch noch aus. Dabei stützte er die frühere Einlassung des Angeklagten Robert D. (48) und entlastete den ebenfalls Tatverdächtigen Artur T. (51).
Zur Tatzeit in Deutschland aufgehalten
Zur Tatzeit habe er sich, so L., tatsächlich in Deutschland aufgehalten. Er habe, so der vorbestrafte und hafterfahrene Mann, 2015 mehrfach in der Autoschrauberhalle von Artur T. ausgeholfen. Dass er in der Bundesrepublik nebenbei auch noch den ein oder anderen Diebstahl beging, räumte L. mehr oder weniger offen ein. Die Ermittler gehen bislang davon aus, dass Robert D. und Piotr L. am 3. November 2015 den gewaltsamen Überfall auf die Brüder S. verübt haben.
Artur T. soll Fahrer eines Fluchtautos gewesen sein. An einem der vorangegangenen Verhandlungstage hatte bereits Robert D. den mitangeklagten T. entlastet – es sei geplant gewesen, dass Piotr L. ihn mit dem Auto von T. in Tatortnähe abhole, hatte D. damals zu Protokoll gegeben. Nachdem der ursprünglich geplante Diebstahl jedoch aus dem Ruder gelaufen sei, sei er, so D. damals, zu Fuß zurück nach Gütersloh gelaufen. Diese Version bestätigte, soweit es ihm möglich war, Piotr L. vor Gericht. Robert D. habe, so L. in der Verhandlung, mit weiteren Männern in eine Werkstatt einbrechen wollen.
"Ich wollte noch etwas Sprit aus einem Lieferwagen klauen"
„Ich sollte ihn hinterher abholen", sagte der Zeuge. So will L. am späten Abend des 3. Novembers 2015 eine ganze Weile mit dem von Artur T. geliehenen Auto auf einem Parkplatz in Tatortnähe gewartet haben und dann unverrichteter Dinge wieder abgefahren sein, nachdem D. nicht auftauchte. „Ich war sauer, weil sich meine eigenen Pläne damit erledigt hatten", sagte er.
Er habe nämlich an jenem Abend eigentlich noch im Auftrag von Artur T. Reifen von einem Parkplatz stehlen sollen, wie er unverblümt einräumte. „Außerdem wollte ich noch etwas Sprit aus einem Lieferwagen klauen." Das Auto habe er Artur T, den er bereits seit Schulzeiten kenne, am folgenden Morgen zurückgegeben. Der Prozess wird heute fortgesetzt.
Fr., 28.12.2018 Chefermittler Ralf Östermann erstmals wieder am Tatort Badstraße in Gütersloh »Es kommt alles wieder hoch«
Von Wolfgang Wotke Gütersloh (WB). Diesmal scheint die Sonne, als Kriminalhauptkommissar Ralf Östermann nach fünf Jahren zum ersten Mal wieder in der Badstraße ankommt. Es ist nicht so trist und trübe, wie am 25. Dezember 2013, als dort in einer Villa zwei Leichen und ein toter Hund entdeckt werden. Der heute 61-Jährige hat damals die Mordkommission geleitet. Nun steht er wieder vor dem Gebäude, in dem das Verbrechen seinen tragischen und brutalen Verlauf genommen hat.
Das beige Haus im Stadtpark von Gütersloh, in dem an Heiligabend 2013 die pensionierte Ärztin Dr. Helgard G. (74) und ihr Bruder Hartmut S. (77), ein ehemaliger Studienrat, erstochen worden sind, ist immer noch unbewohnt. Der Garten verwahrlost, die Fenster schmutzig. Im Innern scheint sich kaum etwas verändert zu haben. Östermann blickt nachdenklich auf den Hauseingang: »Ja, es kommt alles wieder hoch. Der Fall ist sofort wieder präsent bei mir. Mein Gott«, seufzt er, »wir haben hier unzählige Stunden verbracht.«
Rückblende: Noch in der Nacht und in den darauf folgenden Tagen haben Spezialisten am Tatort zahlreiche Spuren gesichert. Foto: Wotke
Viele Theorien und Geheimnisse Der Doppelmord liegt lange zurück, es ranken sich aber immer noch Theorien und Geheimnisse um die Tötung der beiden Senioren. Sie sterben am Weihnachtstag durch mehrere Messerstiche, ebenso ihr Hund. Ein Gashahn im ersten Stock ist aufgedreht, wahrscheinlich sollte eine Explosion die Spuren vernichten. Das hat nicht geklappt. Zwei Monate später, nach intensiven Ermittlungen, wird mit dem Familienfreund Jens Sch. (heute 32) ein Verdächtiger in Verl festgenommen. Es folgen zwei Indizienprozesse. Am Ende wird der mutmaßliche Täter zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Auch die Tochter der ermordeten Ärztin und ihr Lebensgefährte sind verdächtig, beteiligt gewesen zu sein. Das Ermittlungsverfahren gegen beide dauert noch Jahre, ehe es eingestellt wird.
Völliges Durcheinander am Tatort »Als ich seinerzeit den Tatort betrat, die Leichen sah, mich in den durchwühlten Räumen umschaute, hatte ich ein Bauchgefühl, das mir sagte, hier stimmt etwas nicht«, berichtet der erfahrene Mordermittler. Zwar habe es ein Durcheinander gegeben, Schubladen seien aufgerissen gewesen, Schränke durchstöbert worden. »In mir kam der Verdacht auf, dass alles inszeniert worden ist.« In solchen Situationen sei man als Ermittler sehr angespannt, »man muss die eigenen Emotionen im Zaum halten und die Eindrücke neutral auf sich wirken lassen. Und man darf nichts ausschließen und vor allem nicht in eine falsche Richtung denken.« Letztendlich seien Zweifel aufgekommen, dass es sich um einen Raubmord handelt.
Es fehlen die Beweise In der Vergangenheit hat es immer wieder andere Vermutungen gegeben, in Foren und Artikeln hat man stets neue Theorien zu dem Fall gelesen. Ist die Tat vollständig aufgeklärt? Ist Jens Sch. der Einzeltäter? Hat er im Auftrag gehandelt? Und vor allem: Warum musste das wohlhabende Geschwisterpaar so sterben? Hat er Streit um das Erbe gegeben? Gab es ein Handgemenge? War es etwas Persönliches? Die Fragen sind eigentlich bis heute ohne Antworten geblieben. Ralf Östermann: »Wir sind uns sicher, dass der Beschuldigte an der Tat zumindest beteiligt war. Es gibt einfach zu viele Indizien dafür. Ich erinnere nur an das Geldversteck im Wald oder an die Aussagen des Mithäftlings, der ihn schwer belastet hat. Er sitzt nicht zu unrecht im Gefängnis.« Und noch eines liegt dem Kriminalisten auf dem Herzen: »Nicht umsonst hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die Tochter und ihren Partner, der inzwischen verstorben ist, eingeleitet. Doch wir müssen fairerweise sagen: Beweisen konnten wir ihnen nichts.«
Für Ralf Östermann ist Ende März 2019 Schluss. Dann geht er nach mehr als 150 bearbeiteten Tötungsdelikten in den Ruhestand. Nicht alle hat er aufklären können. Der Gütersloher Doppelmord gehört jedenfalls zu seinen spektakulärsten Fällen.
Wie der verurteilte Jens Sch. jetzt lebt Vergitterte Fenster, verschlossene Türen und allgegenwärtige Beamte – das Leben im Gefängnis hat mit dem in Freiheit nicht viel zu tun. So auch nicht für den gelernten Klempner Jens Sch. (32), der wegen Totschlags in zwei Fällen (Doppelmord Gütersloh) zu 13 Jahren Haft verurteilt worden ist, und mittlerweile in der JVA in Werl einsitzt. Das Urteil ist längst rechtskräftig. Und obwohl er dafür nie mehr vor ein deutsches Gericht stehen wird und schon fast fünf Jahre abgesessen hat, schweigt er immer noch. Er beteuert nach wie vor seine Unschuld. Kein Wort über die wahren Geschehnisse der Bluttat an Heiligabend 2013 in der Badstraße, keine Einlassung, kein Geständnis. Nichts. Auch über seine gegenwärtige physische und psychische Verfassung ist nichts bekannt. Ist es ein Leben zwischen Hoffnung und Koller? »Nein«, sagt sein früherer Verteidiger Sascha Haring aus Halle, »ich habe seit langem keinen Kontakt mehr zu ihm.« Und wenn er etwas wüsste, dürfe er nicht darüber sprechen. »Das hat er mir verboten.«
Warum redet er nicht? Wie denkt er heute darüber? Wie hat er den Tod seines besten Freundes verkraftet, der ebenfalls verdächtigt wurde? Fragen, die niemand beantworten kann. Nur er selbst. Sechs Jahre vielleicht noch. So lange wird es wahrscheinlich dauern, bis Jens Sch. darauf hoffen kann, wieder in Freiheit zu kommen. Bis dahin heißt es noch jeden Tag: Aufstehen, frühstücken, arbeiten – wer in NRW im Gefängnis sitzt, hat einen geregelten Tagesablauf. Wichtig für das spätere Leben in der Freiheit ist, dass das soziale Netz des Häftlings außerhalb des Gefängnisses erhalten bleibt. Die Insassen sollen Kontakt zu ihren Angehörigen pflegen. Besuche sind daher in einem gewissen Maße gestattet – allerdings überwacht von Beamten.