erstellt am 19.04.2010 um 20:07 Uhr aktualisiert am 31.01.2017 um 17:57 Uhr
In der Rechenrinne lag ein totes Baby
Neuburg
Neuburg (r) Leichenbergungen gehören zur Geschichte des Donaukraftwerks Bertoldsheim, doch dieser Fund erschütterte den Maschinisten besonders: In der Rechenrinne entdeckte der Arbeiter Montagfrüh ein totes Baby. Das neugeborene Mädchen steckte in einem Müllsack.
Die Obduktion am Nachmittag erbrachte noch kein Ergebnis. Es steht also nicht fest, ob das Baby lebendig auf die Welt gekommen oder ob es eine Totgeburt war. Die Pathologen der Rechtsmedizin München benötigen dazu noch chemische Untersuchungen.
Die Mutter des Mädchens ist noch unbekannt. Möglicherweise handelte es sich um eine unbemerkt gebliebene Schwangerschaft einer jungen Frau. Die Kriminalpolizei Ingolstadt ermittelt jedenfalls wegen eines Tötungsdelikts. Man habe sofort Kontakt mit den Kollegen der Kripo Dillingen aufgenommen, um in dieser Richtung zu sondieren, erklärte der neue Ingolstädter Kripochef Kriminaloberrat Alfred Grob vor Ort an der Staustufe Bertoldsheim.
Dort hatte der Maschinist des Kraftwerks bei Dienstantritt um acht Uhr zunächst nach dem Rechenreiniger geschaut. Die Maschine holt automatisch das Treibgut aus der Donau und kippte es in die dahinterliegende Betonrinne. Zwischen Hölzern, Schilf und Styroporabfall entdeckte der Arbeiter den grauen Müllsack mit dem Baby und Kleidungsstücken. Der kleine Körper ragte aus der Tüte heraus.
Der Maschinist informierte die Polizei, die unter anderem die Feuerwehren Bertoldsheim und Rennertshofen in Bewegung setzte. Das tote Neugeborene hatte der Arbeiter aus der knapp drei Meter tiefen Rinne geborgen. Der Erkennungsdienst der Kripo Ingolstadt kümmerte sich um alle Spuren: Plastiktüte, Kleinmüll und das nähere Umfeld des Fundortes.
Ein Polizeihubschrauber kreiste über dem Donaustausee und flog anschließend stromaufwärts zur Absuche der Uferbereiche. Verwertbare Ergebnisse brachte der Flug nicht. Das Baby in der Plastiktüte muss zwischen Bertoldsheim und Donauwörth in die Donau oder ab Feldheim-Rain bis zur Mündung bei Marxheim in den Lech geworfen worden sein. Soweit reichen die Flussabschnitte zwischen den Staustufen. Wehrüberlauf hat es in den vergangenen Wochen nicht gegeben. Deshalb konzentrieren sich die Ermittlungen der Polizei zunächst auf dieses Gebiet.
Im Müllsack waren folgende Textilien:
eine längere kurzärmelige mehrfarbige Stoffjacke mit Reißverschluss, eine schwarze Jogginghose Größe XL/56 der Marke Watsons, ein blaues Badetuch mit Motiv und Aufschrift Daffy Duck in der Größe 180 x 120 cm, eine blaue Steppdecke mit goldfarbenen Motiven (Monde/Sterne und Sonnen) in der Größe 130 x 200 cm und eine quergestreifte Kleinkindhose, am Bein vorne links aufgestickt: "Joe & Jack & Jessy".
Die Polizei bittet um Hinweise aus der Bevölkerung an die Kripo Ingolstadt, Telefonnummer 0841/9343-0 oder jede andere Polizeidienststelle.
erstellt am 15.11.2013 um 18:55 Uhr aktualisiert am 31.01.2017 um 18:09 Uhr
Ein Teddy für das Baby ohne Namen
Herkunft des toten Mädchens, das 2010 an der Bertoldsheimer Staustufe gefunden wurde, bleibt ungeklärt
Rennertshofen (DK) Ein schlafender Engel, an den sich ein Teddybär kuschelt, Blumen mit einem rosa Schleifchen und ein brennendes Grablicht – nur ein Name fehlt an der letzten Ruhestätte des neugeborenen Mädchens, das an einem Aprilmorgen 2010 aus der Donau bei Bertoldsheim geborgen wurde, in Decken gehüllt, tot, in einem grauen Müllsack.
Hatte es überhaupt einen Namen? Nur die Mutter weiß es. Doch von der fehlt bis heute jede Spur. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren vorläufig abgeschlossen, ohne Ergebnis. 10 UJs 82/10: Nur das Aktenzeichen erinnert noch an die traurige Geschichte – und das kleine Grab in einer hinteren Ecke des Rennertshofener Friedhofs.
„Wir alle zusammen kümmern uns um das Grab“, erzählen zwei ältere Frauen an der Kapelle. „Wir haben das Baby in Rennertshofen gut aufgenommen.“ Grabstein und Totenlicht hat die Firma des Burgheimer Steinmetz Edgar Reinhold bezahlt, gepflegt wird es von der Dorfgemeinschaft. Eine der beiden Frauen hat plötzlich Tränen in den Augen. „Man hätte es nicht so weit abseits beerdigen sollen, sondern mitten drin.“
Wer war dieses Mädchen? Wie ist es gestorben? Hat es überhaupt je gelebt?
„Ja, es hat gelebt“, antwortet der Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Walter und blättert in der Akte mit dem Obduktionsergebnis des Rechtsmedizinischen Instituts München. „Soweit man das feststellen konnte, war es keine Totgeburt.“ Anzeichen für Gewalteinwirkungen haben die Ermittler keine gefunden. Ertrinken schließen die Rechtsmediziner aus. „Es kann von Plötzlichem Kindstod bis zu einer Erkrankung alles gewesen sein, wobei keinerlei Anzeichen für eine Erkrankung festgestellt wurden“, sagt Walter. Genauere Ergebnisse seien aufgrund des Verwesungszustandes nicht möglich gewesen – die Leiche trieb laut Gutachten bis zu eine Woche lang im kalten Wasser.
Handelte es sich um einen Plötzlichen Kindstod, hätte sich die Mutter nur eines Verstoßes gegen das Bestattungsgesetz strafbar gemacht. „Bei einem Plötzlichen Kindstod hört der Säugling einfach beim Schlafen das Atmen auf“, erklärt der promovierte Neuburger Kinderarzt Florian Wild. Dieses Phänomen trete aus vollkommener Gesundheit heraus auf und sei eine häufige Todesursache bei Neugeborenen – und nur durch das Fehlen anderer Ursachen festzustellen. Anhaltspunkte für ein Verbrechen habe man somit „nur bedingt“, erklärt der Leitende Oberstaatsanwalt Walter. Doch ausschließen ließ sich ein Verbrechen eben auch nicht.
Also ermittelte die Kriminalpolizei Ingolstadt weiter und verfolgte die Spur des Mädchens vom Fundort im Rechen des Wasserkraftwerkes Bertoldsheim flussabwärts bis ans Schwarze Meer. Dort verlor sie sich. „Es gab von Anfang an Anhaltspunkte, die dafür sprachen, dass das Kind nicht aus Neuburg und Umgebung stammte“, erklärt Walter. Die Kleidungsstücke, die bei dem toten Säugling gefunden wurden, seien „sicher nicht inländisch“ hergestellt worden: ein blaues Badetuch mit Daffy-Duck-Motiv, ein rotes Stars-and-Stripes-Hemd, eine Decke mit Sonne, Mond und Sternen. Dieses Ergebnis bestätigte eine chemische Isotopenanalyse, mit der festgestellt werden kann, woher die Nahrung stammte, die ein Mensch gegessen hat. „Laut Gutachten hat die Mutter während der Schwangerschaft in der Gegend um das Schwarze Meer gelebt, also Südeuropa bis Südwestasien“, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt.
So geriet eine Gruppe rumänischer Bettler in Verdacht, die im Frühjahr 2010 an den Kiesweihern nordwestlich von Rain campierten – rund zehn Kilometer donauaufwärts in Flussnähe. Man verhörte die Verdächtigen und verglich ihre DNA mit der des Babys. Kein Treffer. „Es kam nichts Greifbares dabei heraus“, sagt Walter. Auch Erntehelferinnen aus Südeuropa, die auf Erdbeerfarmen im Nachbarlandkreis arbeiteten, rückten ins Visier der Fahnder. „Es war ein Ermittlungsansatz, diesen Personenkreis zu überprüfen“, bestätigt der Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord, Peter Grießer. „Eine Spur zu bestimmten Personen hatten wir aber nicht.“ Wieder kein Treffer.
Die DNA des Mädchens ist seither in einer europäischen Datenbank ausgeschrieben. In einem Großteil der Staaten rund um das Schwarze Meer sei damit ein Abgleich möglich, doch nicht in allen, manchmal auch nur auf konkrete Anfrage aus Deutschland. Die größte Hoffnung der Ermittler besteht deshalb darin, dass die Mutter sich irgendwann wieder in Deutschland aufhält und dort einem DNA-Test unterzogen wird. Walter gibt aber zu, dass diese Chance klein ist: „Deshalb sind die Ermittlungen vorläufig abgeschlossen. Bei jedem neuen Beweismittel werden sie aber sofort wieder aufgenommen.“