Massengräber bei der Colonia Dignidad Warum stockt die Aufklärung?
Auf dem Gelände der deutschen Sekte "Colonia Dignidad" in Chile wurden in den 70er Jahren Gegner des chilenischen Militärregimes ermordet. Mit Willi Malessa spricht erstmals im Fernsehen ein ehemaliges Sektenmitglied über die Existenz der Massengräber der Ermordeten.
Die Colonia Dignidad war eine Sekte von Deutschen in Chile - und ein Schauplatz von Verbrechen. Hier wurden viele Menschen gefoltert und ermordet. In den 70er Jahren, unter der Militärdiktatur wurden Oppositionelle systematisch verfolgt. Dabei half der deutsche Sektenführer Paul Schäfer dem Regime. Agenten verschleppten ihre Opfer auf das Gelände der Kolonie und brachten sie dort um. Die Angehörigen der Ermordeten wissen bis heute nicht, was genau damals in der deutschen Siedlung geschah. Sie fordern Aufklärung. Wollen wissen, wo ihre Väter, Brüder und Ehemänner begraben wurden, und wer an den Verbrechen beteiligt war. Zu der lange verschwiegenen Wahrheit gehört: Die Ermordeten wurden in der Colonia in Massengräbern verscharrt. Willi Malessa, ein langjähriges Sektenmitglied, bricht das Schweigen. Zum ersten Mal spricht er in Report Mainz öffentlich über die Massengräber.
Stand: 28.1.2020, 19.56 Uhr
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Colonia Dignidad
Moderation Fritz Frey:
Colonia Dignidad, das war der Name einer Sekte von Deutschen in Chile. Colonia Dignidad, das steht heute für eine skandalös verpasste Chance, ein düsteres Kapitel in der deutsch-chilenischen Geschichte aufzuarbeiten.
Von außen sieht es heute aus wie ein idyllisches Ausflugsziel, doch es war Tatort - für sexuellen Missbrauch von Kindern und die Ermordung chilenischer Regimegegner. Für beide Länder ist es beschämend, wie zurückhaltend die deutsche Justiz ist bei Ermittlungen gegen hier vermutete Täter. Und furchtbar ist es für die Hinterbliebenen in Chile, die noch immer nicht genau wissen, was ihren Angehörigen genau widerfahren ist.
Zum ersten Mal spricht jetzt ein ehemaliges Sektenmitglied über Massengräber, in denen Ermordete verscharrt wurden. Matthias Ebert und Thomas Schneider mit den Details.
Bericht:
Von oben sieht es einfach aus wie eine gut geordnete, große Farm. Tatsächlich aber war dies der Sitz einer deutschen Sekte in Chile. Colonia Dignidad. Auf Deutsch: Kolonie der Würde. Ein zynischer Name. Denn die deutsche Kolonie war der Schauplatz von Verbrechen. Hier wurden viele Menschen gefoltert und ermordet.
Die 70er Jahre. In Chile herrscht der General Augusto Pinochet. Unter seiner Militärdiktatur werden Oppositionelle systematisch verfolgt. Dabei hilft der deutsche Sektenführer Paul Schäfer dem Regime. Agenten verschleppen ihre Opfer auf das Gelände der Kolonie. Dort werden die Regimegegner ermordet.
Die Angehörigen der Ermordeten wissen bis heute nicht, was genau damals in der deutschen Siedlung geschah. Sie fordern Aufklärung. Wollen wissen, wo ihre Väter, Brüder und Ehemänner begraben wurden, und wer an den Verbrechen beteiligt war.
O-Ton, Ana Aguayo, Hinterbliebene:
"Unser Schmerz wird erst enden, wenn wir die Reste unserer Angehörigen finden."
O-Ton, Myrna Troncoso, Hinterbliebene:
"In Chile gab es nie den Willen, wirklich aufzuklären. Deshalb müssen wir so lange kämpfen, um die Wahrheit zu erfahren."
Zu der lange verschwiegenen Wahrheit gehört: Die Ermordeten wurden in der Colonia in Massengräbern verscharrt.
Willi Malessa bricht das Schweigen. Zum ersten Mal spricht er in REPORT MAINZ öffentlich darüber. Vor Jahren sagte er gegenüber der Justiz aus. Er war lange Sektenmitglied. Ende der 70er - also einige Jahre nach den Morden - sollte er helfen, die Massengräber zu beseitigen.
O-Ton, Willi Malessa:
"Ich war dabei, als die erste Fuhre, ein Laster, ein Magirus Deutz - der war beladen mit Resten, Lehm, Holzkohle, Knochenstückchen und Gemisch. Das wurde alles abgekratzt von der Erde. Gewissenhaft." Danach seien die Spuren vernichtet worden. O-Ton, Willi Malessa:
"Und da war eine Furt, wo der Weg durchging, durchs Wasser, da wurde die erste Fuhre abgekippt. In den Bach."
Er habe damals auf Befehl des Sektenchefs Schäfer gehandelt, sagt Malessa. Er wurde zum Mitwisser und schwieg viele Jahre über das Erlebte. Bis heute bewegt ihn die Frage, ob er sich hätte weigern können, bei der Spurenvernichtung mitzuwirken.
O-Ton, Willi Malessa:
"Da stand ich vor der Entscheidung, zu sagen: 'Nee, das mache ich nicht.' Was aber auf der anderen Seite klar war, dass das der gefährlichste Moment meines Lebens war. Und ich musste innerhalb von Minuten entscheiden, ob ich das weitermache oder nicht."
Malessa hatte damals Angst, bestraft oder selbst umgebracht zu werden.
Nach Malessas Aussage begann Chile auf dem Gelände nach Resten der Massengräber zu suchen. Einige der Orte wurden gefunden. Aber für flächendeckende Grabungen nach sterblichen Überresten fehlen dem zuständigen Ermittlungsrichter Geld und Personal.
Und Deutschland? Die Bundesregierung hat sich für die Verbrechen in der deutschen Siedlung lange Zeit nicht interessiert. Dabei pflegten deutsche Diplomaten früher gute Kontakte zu Paul Schäfer und seiner Sekte. Immerhin: 2017 vereinbarten Deutschland und Chile, dass man sich gemeinsam um Aufklärung bemühen wolle.
Gegenüber REPORT MAINZ erklärt das Auswärtige Amt jetzt: Man habe Chile angeboten, dass deutsche Labore Bodenproben aus den Fundorten analysieren, auf Kosten der Bundesregierung. Doch bisher seien aus Chile keine Proben eingetroffen.
Warum stockt die Aufklärung in Chile? Politisch zuständig ist dort der Justizminister, Hernán Larraín. Und ausgerechnet er war lange ein Unterstützer der Sekte. Noch in den 90ern schrieb er in einem Brief über die Colonia:
Zitat:
"Wir, die Unterzeichner dieses Briefes, wertschätzen sehr die Arbeit, die diese Vereinigung geleistet hat (…)."
Der Politikwissenschaftler Jan Stehle hat intensiv über die Colonia geforscht und sieht in dem Minister eines der Hindernisse für die Aufklärung: O-Ton, Jan Stehle, Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika:
"Aus meiner Sicht ist es so, dass Herrn Larraín sehr daran gelegen ist, dieses Thema möglichst niedrig zu halten, möglichst nicht in der Öffentlichkeit über dieses Thema zu sprechen. Und hier würde ich mir auch wünschen, dass von Seiten des Auswärtigen Amtes und der Bundesregierung ein höheres Engagement gezeigt wird, um Chile dies noch mal deutlich zu machen. Es ist eine Frage, wo eine proaktive Menschenrechts-politik vonnöten ist, die ich im Moment so nicht sehe."
Fazit: Deutschland hält sich mit Druck auf Chile vornehm zurück. Das kommt Chiles Regierung zupass: Justizminister Larraín hat uns gegenüber keine Stellungnahme abgegeben. Dabei könnte er einiges für die Aufklärung tun, wenn er wollte. Die Hinterbliebenen der Opfer warten weiter auf Spuren der Wahrheit.
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