Whistleblower So gefährdet ist ihre Anonymität wirklich 30.12.2019
Whistleblower haben nach dem BetrVG ganz schlechte Karten: Ihre Daten könnten recht leicht dem Angezeigten offenbart werden müssen. Und zwar auch in Anwaltskanzleien ohne Betriebsrat, erklärt Stefan Lochner.
Die Zunft der Rechtsanwälte lebt in besonderem Maße von Diskretion und Vertrauen. Gleichzeitig gewinnt das Thema "Whistleblowing" zunehmend an Bedeutung. Es stellt sich die Frage, ob für sie besondere Spielregeln gelten. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (Urt. v. 20. Dezember 2018, Az. 17 Sa 11/18; Revision anhängig beim Bundesarbeitsgericht, BAG, Az. 5 AZR 66/19) hatte über diese Frage zu entscheiden.
Ein angestellter Rechtsanwalt hatte erfahren, dass jemand aus seinem Arbeitsumfeld seinen Arbeitgeber über von ihm begangenes berufliches Fehlverhalten informiert hatte. Er begehrte daher Einsicht in seine Personalakte und Informationen über den Hinweisgeber. Er stützte sein Begehren zum einen auf § 83 Abs. 1 S. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), wonach jeder Arbeitnehmer das Recht hat, in die über ihn geführten Personalakten Einsicht zu nehmen. Außerdem beanspruchte er Auskunft über die über ihn verarbeiteten personenbezogenen Daten und Zurverfügungstellung von entsprechenden Kopien nach Art. 15 Abs. 1, 3 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
Das LAG hatte die Frage zu entscheiden, ob Einschränkungen hinsichtlich dieser Auskunftsbegehren vorzunehmen sind, wenn dem Interesse des Arbeitnehmers, der Einsicht nehmen möchte, das Interesse des Hinweisgebers an Anonymität entgegensteht. Interessenkonflikt auch ohne Betriebsrat
Auch wenn in Kanzleien regelmäßig kein Betriebsrat existiert, besteht der aufgezeigte Interessenkonflikt auch mit Blick auf das Einsichtsrecht nach § 83 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Denn es besteht Einigkeit, dass dieser individuelle Auskunftsanspruch nicht davon abhängt, dass ein Betriebsrat existiert. Der erforderliche Schutz eines Whistleblowers in betriebsratslosen Betrieben kann daher nicht allein damit begründet werden, dass die Voraussetzungen für ein solches Einsichtsrecht nicht vorliegen.
Das LAG hat den Interessenkonflikt daher auf der Ebene der anspruchsbegründenden Voraussetzungen und damit auf Tatbestandsebene gelöst. Zwar versteht es mit der herrschenden Meinung den Begriff Personalakte im materiellen Sinne weit. Es geht jedoch zutreffend davon aus, dass personenbezogene Daten des Hinweisgebers grundsätzlich nicht Bestandteil der Personalakte werden oder zumindest so unkenntlich zu machen sind, dass weder der Hinweisgeber erkennbar ist noch Rückschlüsse auf diese Person gezogen werden können.
Im Ergebnis wird der Interessenkonflikt also dadurch gelöst, dass das Einsichtsrecht von vornherein nur bezogen auf die Daten besteht, die Teil einer Personalakte sein können – dieses Einsichtsrecht ist dann aber uneingeschränkt zu gewähren.
Dadurch wird dem Interesse des Hinweisgebers auf den ersten Blick ein grundsätzlich hoher und weitreichender Schutz gewährt, da das Einsichtsrecht schon keinem Abwägungsvorgang offensteht. Allerdings relativiert das LAG dieses Schutzniveau wieder, indem es dem Arbeitnehmer ein Einsichtsrecht uneingeschränkt zuspricht, wenn die entsprechenden Informationen vom Arbeitgeber fälschlicherweise zur Personalakte genommen wurden. "Fehler" des Arbeitgebers gehen also zu Lasten des Hinweisgebers. Insoweit ordnet sich die Entscheidung des LAG in die bisherige Rechtsprechung zu dieser Frage ein.
Erstmals Antworten zur DSGVO
Neuland betritt das LAG hingegen bei der Beantwortung der Frage, wie der aufgezeigte Interessenkonflikt im Lichte von Art. 15 DSGVO zu lösen ist. Dies war bislang völlig offen.
Nach § 15 DSGVO hat eine Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und in der Norm dargelegte Informationen.
Das LAG geht von der Notwendigkeit einer umfassenden Güterabwägung aus und begründet dies mit Verweis auf § 29 Abs. 1 S. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) – wo der Vorrang von Geheimhaltungspflichten gegenüber dem Informationsrecht des Betroffenen norminert sind - und Art. 15 Abs. 4 DSGVO. Es legt dem Arbeitgeber wegen seiner großen Sachnähe die Darlegungslast für die für die Einzelfallabwägung maßgeblichen Tatsachen auf, die zu einer Einschränkung des Auskunftsanspruchs führen können.
Der Interessenkonflikt wird im Rahmen von Art. 15 DSGVO damit im Ergebnis, anders als bei § 83 Abs. 1 S. 1 BetrVG, nicht auf der Tatbestandsebene zu lösen sein, sondern ist in der Rechtsfolge einzelfallbezogen einer Güterabwägung zuzuführen. Dem Interesse des Hinweisgebers kommt hierbei nach der Entscheidung des LAG im Ergebnis ein geringeres Gewicht zu, da der Arbeitgeber darlegen muss, auf welche genauen Informationen sich das überwiegende berechtigte Interesse an einer Geheimhaltung beziehen soll. Genau diese Informationen beinhalten jedoch die Gefahr, die Person des Hinweisgebers zu offenbaren. Nach derzeitiger Rechtslage haben sich damit die Risiken für Hinweisgeber durch das Inkrafttreten der DSGVO deutlich erhöht.
Widerspruch in den Wertungen?
Angesichts der unterschiedlichen Anspruchsregime mit ihrem unterschiedlichen Schutzniveau stellt sich die eingangs angedeutete Frage nach dem Verhältnis der Informationsansprüche des Betroffenen umso drängender. Sofern Parallelität zwischen den Ansprüchen besteht, ist ein unterschiedliches Schutzniveau hinsichtlich der Interessen des Hinweisgebers offensichtlich. Der vergleichsweise hohe Schutz eines Hinweisgebers aus dem Betriebsverfassungsgesetz droht also durch die DSGVO unterlaufen zu werden: Dies dann, wenn ein Arbeitnehmer die Auskunft über seine personenbezogenen Daten verlangt, die nicht Bestandteil seiner Personalakte sind.
Allerdings hat die DSGVO einen Anwendungsvorrang gegenüber dem BetrVG. Die Lösung könnte daher in § 15 Abs. 4 DSGVO liegen. Danach darf das Informationsrecht des Betroffenen die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen. Dieser Ausnahmetatbestand könnte infolge des Anwendungsvorrangs der DSGVO auch auf die Einsichtsrechte von Arbeitnehmern nach § 83 Abs. 1 S. 1 BetrVG anzuwenden sein.
Der Wortlaut des § 83 Abs. 1 S. 1des BetrVG steht einer solchen Auslegung entgegen, dort ist mit keinem Wort von einer Interessenabwägung die Rede. So jedoch kommt es zu Wertungswidersprüchen und eine Güterabwägung hätte den Vorteil, dass der Schutz des Hinweisgebers nicht davon abhängt, ob der Arbeitgeber die Informationen aus der Personalakte heraushält oder nicht. Außerdem führt ein bloß eingeschränkter Schutz von Hinweisgebern unter Umständen dazu, dass diese von Hinweisen absehen.
Bringt eine neue Richtlinie die Lösung?
Das LAG hat dennoch diese Lösung und damit eine Einschränkung des Auskunftsrechts aus dem BetrVG vereint. Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung des BAG diese in der Praxis heikle Fragestellung für alle Beteiligten besser handhab- und vorhersehbar macht.
Helfen kann in diesem Zusammenhang möglicherweise auch Brüssel. Denn es ist zu erwarten, dass der Interessenkonflikt zwischen Arbeitnehmer und Hinweisgeber durch die Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern (förmlich verabschiedet, PE-CONS 78/19) um neue Gesichtspunkte erweitert wird. So sieht der derzeitige Entwurf in Art. 16 ein Vertraulichkeitsgebot vor.
Auch wenn die Richtlinie lediglich den Schutz von Hinweisgebern erfasst, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, lassen sich grundsätzliche Auswirkungen auf den Schutz von Hinweisgebern nicht ausschließen.
Entwarnung gegeben werden kann allerdings in einem anderen anwaltsbezogenen Konfliktfeld zwischen Geheimhaltungsinteresse und Datenschutz: Mandatsbezogene Informationen muss ein Anwalt bei Anfragen im Rahmen von Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO wegen § 29 Abs. 1 S. 2 BDSG nicht preisgeben.
Der Autor Dr. Stefan Lochner ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Beiten Burkhardt. Kanzlei des Autors
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