Die „besondere Schwere der Schuld“ Veröffentlicht am 27. September 2019
Wenn von der „besonderen Schwere der Schuld“ die Rede ist, ist regelmäßig § 57a StGB gemeint. Nach dieser Vorschrift kann der Rest einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind (§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB), die Reststrafenaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 57a Abs. 1 Nr. Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB), die verurteilte Person einwilligt (§ 57a Abs. 1 Nr. Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB) und – worauf im Folgenden näher eingegangen werden soll – nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet.
Welches Gericht die Entscheidung über die besondere Schwere der Schuld zu treffen hat, ist gesetzlich eigentlich dahingehend geregelt, dass gemäß § 462a StPO die Strafvollstreckungskammer zuständig ist. Das ist eine Kammer desjenigen Landgerichts, in dessen Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, aufgenommen ist. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht (03.06.1992, 2 BvR 1041/88, NJW 1992, 2947) entschieden: „Die Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen der §§ 454, 462 a StPO und des § 74 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GVG sind mit dem Grundgesetz nur dann vereinbar, wenn die für die Bewertung der Schuld gemäß § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB erheblichen Tatsachen im Erkenntnisverfahren vom Schwurgericht festgestellt und im Urteil dargestellt werden, wenn das Urteil darüber hinaus auf dieser Grundlage die Schuld – unter dem für die Aussetzungsentscheidung erheblichen Gesichtspunkt ihrer besonderen Schwere – gewichtet und wenn das Vollstreckungsgericht daran gebunden ist.“ Dahinter steckt die Überlegung, dass letztlich nur diejenigen Richter die Schuldschwere beurteilen können, die „die objektiven und subjektiven Faktoren der individuellen Schuld“ anhand der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung kennen. Im Ergebnis entscheidet also das Schwurgericht über die Frage, ob eine „besondere Schwere der Schuld“ im Sinne von § 57a StGB vorliegt oder nicht und spricht dies gegebenenfalls im Urteilstenor aus („Die Schuld des Angeklagten wiegt besonders schwer.“).
Unter welchen Voraussetzungen ist nun eine solche Feststellung zu treffen? Der Bundesgerichtshof verlangt eine „zusammenfassende Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit“ anhand von Umständen, „die Gewicht haben“. In Betracht kommen beispielsweise eine besondere Verwerflichkeit der Tatausführung oder der Motive, mehrere Opfer bei einer Tat, die Begehung mehrerer Mordtaten oder – im oder ohne Zusammenhang mit dem Mord begangene – weitere schwere Straftaten (BGH, 22.11.1994, GSSt 2/94, NJW 1995, 407).
Sicherungsverwahrung einfach erklärt Aktualisiert am 10.01.2019 (17)
Die Sicherungsverwahrung kann unter vier verschiedenen Voraussetzungen angeordnet werden (wobei jede dieser Voraussetzungen nochmals eigene Voraussetzungen hat, siehe dazu unten näher):
Anordnung nach zwei Vorverurteilungen wegen gravierender Vortaten wie Sexualdelikt, Mord, Körperverletzung, Betäubungskriminalität Anordnung ohne Vorverurteilung bei drei jetzt begangenen Taten der o. g. Art, Anordnung nach Begehung einer der o. g. Taten, wenn die jetzige Tat wieder eine solche o. g. Tat ist, Anordnung ohne Vorverurteilung bei zwei jetzt begangenen Taten (Abs. 3 S. 2).
Sicherungsverwahrung wird neben der Strafe angeordnet. Das bedeutet, dass der Täter zunächst seine Gefängnisstrafe absitzen muss und (obwohl er dann seine Strafe verbüßt hat und deshalb eigentlich wieder freikommen müsste,) kommt er dennoch nicht frei.
Sicherungsverwahrung ist also keine Strafe, sondern dient ausschließlich dem Schutz der Bevölkerung. Insoweit steht hier nicht das Rehabilitationsinteresse des Täters, sondern die öffentliche Sicherheit im Vordergrund.
Aus dem o. g. Grund soll nach der ursprünglichen Intension des Gesetzgebers die Sicherungsverwahrung (nicht Sicherheitsverwahrung) nur unter sehr strengen Voraussetzungen angeordnet werden dürfen:
Das Gericht muss die Sicherungsverwahrung unter folgenden Bedingungen anordnen:
Wenn jemand bei der jetzigen Verurteilung zu mindestens zwei Jahren wegen einer Sexualstraftat* verurteilt wird (sprich, wer wegen Grapschens zu mehr als zwei Jahren verurteilt wird, kann ebenso in Sicherungsverwahrung genommen werden, wie jemand der Kinder missbraucht und anschließend tötet) Weiterhin muss der Täter wegen einer Sexualstraftat (oder einer der anderen im Gesetz zur Sicherungsverwahrung genannten Taten wie z. B. Mord, Betäubungsmittelkriminalität, Körperverletzung etc.) schon zweimal zu einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sein (auch ausländische Verurteilungen zählen) Allerdings dürfen diese Taten, wenn es sich um Sexualdelikte handelt, nicht länger als 15 Jahre zurückliegen (bei anderen Taten als Sexualdelikten nicht mehr als fünf Jahre) Bei einer dieser Vortaten muss der Täter schon mindestens zwei Jahre im Knast dafür eingesessen haben
Und jetzt der Gummiparagraph: Zusätzlich muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, vor allem solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich sein.
Alle diese vier Punkte müssen vorliegen, sonst kann die Sicherungsverwahrung nicht verhängt werden!
Beispiel: Erwin hat 2018 ein Kind sexuell missbraucht. Dafür bekommt er zwei Jahre Knast aufgebrummt. Erwin wurde aber schon einmal 2017 wegen sexuellen Missbrauchs zu einem Jahr auf Bewährung und wegen schwerer Körperverletzung im Jahr 2013 zu zwei Jahren verurteilt. Ein Gutachten ergibt, dass Erwin immer wieder neue Straftaten erheblicher Art begehen wird die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen.
Bis dahin klingt das Alles ziemlich kompliziert und zugleich so komplex, dass es kaum zur Verhängung der Sicherungsverwahrung kommen dürfte, schon angesichts dieser Vielzahl an Voraussetzungen, die alle kumulativ vorliegen müssen.
Jetzt kommt das aber: Der Richter kann (muss aber nicht) auch dann Sicherungsverwahrung verhängen, (um auch die Sicherungsverwahrung gegenüber gefährlichen Serienstraftätern anordnen zu können, deren Taten bisher unentdeckt geblieben sind):
wenn der Täter aktuell wegen drei verschiedener (tatmehrheitlicher) Sexualstraftaten* verurteilt wird für die er jeweils mindestens ein Jahr Knast aufgebrummt bekommt davon mindestens eine Strafe drei Jahre beträgt und wieder die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, vor allem solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Beispiel: Der Vater hat über die letzten fünf Jahre an drei verschiedenen Tagen seine Tochter sexuell missbraucht. Damit hat er juristisch betrachtet drei verschiedene (sog. tatmehrheitliche) Taten begangen, (auch wenn es immer an ein und derselben Person war). Der Richter verhängt für die ersten beiden Taten jeweils ein Jahr Gefängnis, für die dritte Tat, (weil die besonders schwerwiegend war) drei Jahre. (Auch hier ergibt ein Gutachten wieder, dass er immer wieder neue Straftaten erheblicher Art begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen)
Der Richter kann ferner Sicherungsverwahrung anordnen,
wenn jemand zu mindestens zwei Jahren wegen einer Sexualstraftat* verurteilt wird er wegen einer solchen Tat schon mal zu mindestens drei Jahren verurteilt worden ist, und wieder die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, vor allem solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich sein.
Beispiel: Der Pfarrer hat versucht einen Ministranten zu vergewaltigen. Dafür bekommt er zweieinhalb Jahre Haft. Der Pfarrer war schon mal wegen sexuellen Missbrauchs seiner Nichte zu drei Jahren Haft verurteilt worden. (Auch hier ergibt ein Gutachten wieder, dass der Pfarrer immer wieder neue Straftaten erheblicher Art begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen)
Auch kann der Richter Sicherungsverwahrung anordnen, wenn
jemand wegen zwei verschiedener Sexualstraftaten (oder der der anderen im Gesetz zur Sicherungsverwahrung genannten Taten wie z. B. Mord, Betäubungsmittelkriminalität, Körperverletzung etc.) zu mindestens je zwei Jahren verurteilt wird für einer dieser Taten eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren aufgebrummt bekommt, und wieder die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, vor allem solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich sein.
Beispiel: Wie unter B, nur hat der Vater über die letzten fünf Jahre an zwei verschiedenen Tagen seine Tochter sexuell missbraucht. Der Richter verhängt für die eine Tat zwei Jahre Haft, für die zweite Tat drei Jahre. (Auch hier ergibt ein Gutachten wieder, dass der Vater immer wieder neue Straftaten erheblicher Art begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen.)
* Natürlich nicht nur Sexualtaten – auch Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, schwere Betäubungskriminalität etc. fallen hierunter
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Kanzlei Stevens-Betz-Müller-Zenger GbR
Kernpunkt unserer Erfolgsstrategie – sowohl in der Strafverteidigung, als auch bei den Rechtsmitteln – ist unsere extrem enge Spezialisierung. Nicht nur sind wir ausschließlich auf das Strafrecht spezialisiert, jeder unserer Anwälte konzentriert sich darüber hinaus auf einzelne Teilbereiche des Strafrechts mit zentralen Schlüsselqualifikationen: So arbeiten in unserer Kanzlei neben Fachanwälten für Strafrecht und einem ehemaligen Staatsanwalt vor allem in der Wissenschaft tätige Anwälte (u. a. deutsche Richterakademie), um gerade für die komplexen Spezialgebiete des Strafrechts optimal aufgestellt zu sein.
Dabei hat es sich unsere Kanzlei zur Aufgabe gemacht, sich unter keinen Umständen staatlichem Handeln unterzuordnen, sondern zu kämpfen, wenn nötig mit allen hierfür zur Verfügung stehenden strafprozessualen Mitteln: Denn in keinem anderen Rechtsgebiet hat ein Richter so viele Freiheiten und Ermessensspielräume wie im Strafrecht hält man sich allein die weit gefassten Rechtsfolgen und Strafrahmen vor Augen, die das Strafverfahren vorsieht: von einer Verfahrens-Einstellung mit oder ohne Geldauflage, bis hin zu Freiheitsstrafen von wenigen Monaten bis zu vielen Jahren – mit oder ohne Bewährung; Dass dann bei der Rechtsfindung große Freiräume bestehen, ist unbestritten – Mit unserer Erfahrung und Qualifikation sowie konfrontativen Prozessanwälten nebst ehemaligem Staatsanwalt erzielen wir regelmäßig überdurchschnittliche Ergebnisse.
Zitat Welches Gericht die Entscheidung über die besondere Schwere der Schuld zu treffen hat, ist gesetzlich eigentlich dahingehend geregelt, dass gemäß § 462a StPO die Strafvollstreckungskammer zuständig ist
Da sieht man mal wieder dass auch juristische Blocks nicht frei von Fehlern sind. Die Entscheidung ob eine besondere schwere der Schuld festgestellt wird, trifft nicht die Strafvollstreckungskammer ( die wird ja immer erst im nachhinein zuständig ) sondern die wird im Urteil ausgesprochen ( siehe auch das Baumer Urteil) . Die Strafvollstreckungskammer entscheidet später höchstens ob der 57 a ( die besondere schwere der Schuld ) wirklich vollstreckt wird, und über die Mindestverbüßungszeit