25 Jahre nach dem ungelösten Doppelmord am Bodensee
Nur der alte Kommissar glaubt noch an die Aufklärung
Im Sommer 1993 werden Martha und Yvonne Heunisch, Mutter und Tochter, eiskalt ermordet. Von Täter und Motiv fehlt auch ein Vierteljahrhundert später jede Spur. Der ehemalige Chefermittler Werner Schoop gibt trotzdem nicht auf.
Marco Latzer
Nachdenklich schaut Werner Schoop (62) auf ein unscheinbares Ferienhäuschen am Bodenseeufer in Arbon TG. «Es ist ein komisches Gefühl, wieder hier zu sein. Nach all den Jahren kommt mir alles fremd und doch vertraut vor», sagt der ehemalige Ermittlungschef der Thurgauer Kriminalpolizei zu BLICK.
Denn das noch immer gut gepflegte Ferienidyll war vor einem Vierteljahrhundert Schauplatz eines schaurigen Verbrechens – eines Doppelmords. Der Fall lässt Schoop auch nach seiner Pensionierung keine Ruhe. «Ich wünschte mir, dass dieser Fall noch gelöst wird. Das würde mir viel bedeuten!», sagt der Kommissar.
Grossmutter entdeckt tote Yvonne
Am 4. Juli 1993 reisen Martha Heunisch (†56) und ihre Tochter Yvonne (†31) an, um gemeinsame Tage im Ferienhaus der Familie zu verbringen.
Gegen 9.30 Uhr betritt Grossmutter T. B.* (damals 79) den u-förmigen Bungalow. Die Rentnerin will ihre Tochter und ihr Enkelkind mit frischen Gipfeli überraschen. Doch, nachdem sie die Türe aufgeschlossen hat, bleibt es verdächtig still.
Sie ruft: «Martha?» Keine Antwort. «Yvonne?» Wieder nichts. Darauf betritt sie eines der Schlafzimmer und sieht im schummrigen Licht eine Person im Bett liegen. B. will sie wecken, greift ihr an den Fuss – und merkt, dass er kalt ist. Ihre Enkelin Yvonne ist tot. In Panik rennt die Frau ins 200 Meter entfernte, gut besuchte Strandbad, um die Polizei zu alarmieren.
Diese macht kurz darauf einen zweiten schrecklichen Fund: In der Stube stossen Beamte auf Martha. Genau wie ihre Tochter wurde auch sie gefesselt und danach mit einem Schuss mutmasslich gezielt hingerichtet.
Sass der Mörder mit ihnen zu Tisch?
Werner Schoop erinnert sich: «Es gab keine Aufbruchspuren am Tatort. Und auf der Terrasse war für mehrere Personen aufgetischt. Es dürfte Besuch erwartet worden oder kürzlich da gewesen sein.»
Der Ermittler spricht von einer eigentlich friedlichen Situation, «wenn nur die Schussverletzungen nicht gewesen wären». Doch kein Zeuge hört die Todesschüsse. Die Täterschaft ist somit längst über alle Berge.
Später wird die Gerichtsmedizin feststellen, dass Mutter und Tochter schon am Samstag, dem Vortag des Fundes, oder eventuell sogar am Freitagabend umgebracht wurden. Und dass kein Sexualverbrechen vorliegt.
Täterschaft klaute Auto der Toten
Die einzige Spur: Der rote Honda Civic, der Yvonne gehörte, wird in Romanshorn TG verschlossen aufgefunden. Der oder die Täter dürften das Auto benutzt haben, um vom Tatort zur dortigen Kantonalbank zu gelangen.
Dort wird noch am Samstag mit Marthas EC-Karte zweimal Geld abgehoben. «Der PIN-Code muss vor der Ermordung erfragt worden sein. Denn die Täterschaft hat ihn sich am Tatort auf einen Notizblock geschrieben», sagt Schoop.
Am Sonntag, praktisch zeitgleich mit dem Leichenfund, folgt nochmals ein Bargeldbezug. Dieses Mal im Zentrum von St. Gallen. Insgesamt werden 3000 Franken vom Konto abgehoben. Das Problem der Ermittler: Die Bankomaten sind damals noch nicht mit Kameras ausgestattet.
Mann wurde beim Geldabheben beobachtet
Und jenen Kunden, die unmittelbar davor und danach Geld bezogen haben, fällt nichts Spezielles auf. Schoop: «Es wurde zwar ein Mann gesehen, aber niemand konnte ihn beschreiben.»
Wer bringt wegen 3000 Franken zwei Menschen um? Auffällig ist, dass in der Schweiz zu jener Zeit die sogenannten «Schlafzimmer-Räuber» aktiv waren. Eine brutale Diebesbande aus dem Balkan, die auch vor Gewalt nicht zurückschreckte.
Doch da der Tatort im Fall Heunisch nicht dem klassischen Vorgehen der Schlafzimmer-Räuber entspricht, tritt die Raubmord-Theorie in den Hintergrund.
Die Opfer und ihr rätselhaftes Umfeld
Die Ermittler durchleuchten deshalb in rund 70 Befragungen das Umfeld der beiden Opfer. Doch alle haben ein sattelfestes Alibi. Aber: «Das ganze Umfeld kennen wir wahrscheinlich heute noch nicht», sagt Werner Schoop.
Tochter Yvonne, die für eine Krankenkasse in Zürich gearbeitet hat, lebte zur Tatzeit in einer stabilen Beziehung. Ihre geschiedene Mutter Martha hingegen hatte wechselnde Männerbekanntschaften. Freunde beschreiben die in mehreren Vereinen engagierte Sekretärin aus Gossau SG als «weltoffene Frau, die gerne auf Menschen zugeht».
Ihr Privatleben ist nach der Tat von besonderem Interesse. Denn Martha wird kurz vorher mit einem unbekannten Mann mittleren Alters gesehen. War es ein Liebhaber? Die Polizei sucht darauf mit einem Phantombild nach dem Unbekannten. Erfolglos.
«Will gar nicht mehr wissen, wer es war!»
Die Familie der getöteten Frauen zeigt sich zurückhaltend. T. W. (75)*, Marthas Schwester und Yvonnes Gotte, sagt zu BLICK: «Ich will eigentlich gar nicht mehr wissen, wer es war!» Ihre Familie habe unter den Gerüchten sehr gelitten. «Und den Fall wird man ohnehin nie lösen können», ist W. überzeugt. «Weil am Tatort so viele Leute verkehren, die dort Ferien machen.»
Marthas Ex-Mann lässt schriftlich verlauten: «Ich kann mich an dieses Kapitel meines Lebens nicht mehr erinnern.» Auf Nachfrage macht er dafür medizinische Gründe geltend. Auch nach einem Vierteljahrhundert ist der Doppelmord ungeklärt. Nicht einmal die genaue Anzahl der Täter liess sich zweifelsfrei bestimmen. Das dürfte vermutlich auch daran liegen, dass es vom Tatort keine DNA-Spuren gibt. Denn die Ermittler kannten diese Technologie damals erst vom Hörensagen aus den USA.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es trotzdem: Die Kriminaltechniker konnten im Ferienhäuschen Fingerabdrücke eines mutmasslichen Täters sicherstellen. Oder wie es Ex-Ermittlungschef Schoop ausdrückt: «Es gibt ein eindeutiges Spurenbild. Wir können dadurch sagen: ‹Ja, der war es. Oder nein, der war es nicht›.»
Belohnung von 20'000 Franken
25 Jahre nach dem Doppelmord von Arbon TG sind die Ermittlungen im Fall Heunisch sistiert. Bei Eingang neuer Erkenntnisse würden diese wieder aufgenommen. Sachdienliche Hinweise nimmt die Kantonspolizei Thurgau unter der Nummer 058 345 22 22 entgegen. Für Hinweise, die zur Ergreifung der Täterschaft führen, wurde schon 1993 eine Belohnung von 20'000 Franken ausgesetzt. Diese hat noch immer Bestand.
Die Verjährung rückt näher
Wenn dieser Mister X irgendwo im europäischen Raum erkennungsdienstlich erfasst wird, klingeln im Thurgau sämtliche Alarmglocken.
Doch das ist in den letzten 25 Jahren nicht passiert. Entweder weil sich die Zielperson nichts hat zuschulden kommen lassen – oder weil sie bereits selbst verstorben ist. Somit bleibt nur das Hoffen auf Kommissar Zufall. Doch da Mord in der Schweiz nach 30 Jahren verjährt, wird die Zeit allmählich knapp.
Spürnase Schoop hadert: «Ich persönlich bin absolut gegen die Verjährung. Die Politik will sie aber offenbar. Als Polizist muss man das akzeptieren, als Bürger bin ich aber nicht einverstanden.» Noch haben seine Nachfolger bis Sommer 2023 Zeit, um Anklage zu erheben. Was ohne neue Hinweise aber nicht passieren dürfte.
Schoops Theorie des Doppelmords: Die Frauen machten eine Zufallsbekanntschaft, deren Begegnung aus unbekannten Gründen ausgeartet sei. «Noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Auch weil es für mich tröstend wäre, eines Tages zu erfahren, wie nah wir dran waren!»