Schwere Panne im Fall Ulvi Kulac Der Anwalt des wegen Mordes Verurteilten beantragt Pflichtverteidigung in einem Wiederaufnahme-Verfahren. Doch das Gesuch bleibt gut sechs Monate verschollen. Von Thomas Hanel
Ulvi Kulac wird nach der Urteilsverkündung in einem Gefangenentransporter ins Hofer Gefängnis gebracht. Archiv Michael Euler
Bayreuth/Hof - Der mit Ungereimtheiten gespickte Fall des inzwischen 33 Jahre alten Ulvi Kulac aus Lichtenberg im Landkreis Hof ist um eine schwere juristische Nachlässigkeit angereichert worden: Ein Antrag des Rechtsanwalts Michael Euler aus Frankfurt am Main, der in einem Wiederaufnahmeverfahren als Pflichtverteidiger Kulacs bestellt werden möchte, war mehr als ein halbes Jahr lang verschwunden. Euler ist überzeugt, dass der wegen Mordes an der neunjährigen Peggy Knobloch verurteilte Mann zu Unrecht hinter Gittern sitzt.
Am 30. April 2004 hatte die Erste Große Strafkammer des Landgerichts Hof den damals 26-Jährigen für schuldig befunden, die kleine Peggy am 7. Mai 2001 in Lichtenberg getötet zu haben, um sie nach einem vorangegangenen sexuellen Missbrauch für immer zum Schweigen zu bringen. So jedenfalls gestand er es in der Untersuchungshaft. Dann aber widerrief er, und seitdem beteuert er seine Unschuld. In dem Indizienprozess verurteilte ihn das Schwurgericht dennoch zu lebenslang. Obwohl die Leiche des Mädchens nie gefunden wurde, bestätigte der Bundesgerichtshof die Entscheidung der Kollegen aus Hof.
Kulac ist geistig behindert; deshalb ist er in der geschlossenen Abteilung des Bayreuther Bezirkskrankenhauses untergebracht. Euler ist der Anwalt seines Vertrauens. Beide, der Verurteilte wie der Jurist, wollen einen neuen Prozess erzwingen. Doch weder Kulac noch seine Familie haben das nötige Geld für die Verteidigung. So beantragte Euler am 15. November 2010 beim zuständigen Landgericht Bayreuth - dem sogenannten Wiederaufnahme-Gericht - , ihn zum Pflichtverteidiger eines neuen Verfahrens zu bestimmen. Und den würde die Staatskasse bezahlen.
Die Zeit verstrich. Als Euler auch vor ein paar Tagen noch keinerlei Bescheid aus Bayreuth erhalten hatte, rief er die dortige Landgerichts-Geschäftsstelle an, um zu erfahren, wie es um seinen Antrag steht. Was er zu hören bekam, machte ihn fassungslos. Der Anwalt berichtet unserer Zeitung: "Eine Bedienstete erzählte mir, dass sie mein Gesuch, das für das weitere Verfahren von entscheidender Bedeutung ist, versehentlich und unbearbeitet an die Staatsanwaltschaft Hof weitergereicht hat." In Hof wiederum habe ein Kollege "nichts von alldem gewusst" und ihm empfohlen, den Antrag neu zu stellen und an die Hofer Behörde zu richten. Das tat Euler unverzüglich.
Nach Auskunft des Hofer Oberstaatsanwalts Reiner Laib liegt das neue Gesuch bereits vor. "Noch in dieser Woche werden der Antrag und die umfangreichen Aktenkartons in Einzeltransporten nach Bayreuth zur Staatsanwaltschaft gebracht. Für uns wird der Fall damit erledigt sein." Wie Euler sagt, sind allein die 37 Bände der Hauptakten etwa 16 000 Seiten dick. Daneben gebe es rund hundert weitere Bände.
Der Präsident des Bayreuther Landgerichts, Manfred Werth, will von einer Panne nichts wissen, schon gleich nicht von "Mutmaßungen einer Verschwörungstheorie". Der Antrag des Frankfurter Anwalts sei nicht bei der zuständigen allgemeinen Strafkammer des Landgerichts Bayreuth eingegangen, sondern in der Strafvollstreckungskammer. Von da sei er dann nach Hof geleitet worden. "Da ist in einer Geschäftsstelle etwas dumm gelaufen", gibt Werth auf Anfrage zu. Sobald der neue Antrag in Bayreuth vorliege, werde sich der Vorsitzende der Strafkammer damit befassen und "eher zeitnah" entscheiden - "innerhalb von ein paar Monaten, das hängt vom Umfang der Akten ab".
Werth gibt zu bedenken, dass die Hürden für die Wiederaufnahme eines solchen Verfahrens hoch seien. "So häufig gibt es derartige Prozesse nicht. Schließlich soll ja gegen ein rechtmäßig ergangenes Urteil vorgegangen werden."
Ein "klassischer Grund"
Euler dagegen ist sich sicher, dass die Chancen auf einen erneuten Prozess gut stehen. "Erstens beruht das Urteil des Hofer Gerichts auf der vorsätzlichen Falschaussage eines Belastungszeugen. Allein das ist ein klassischer Grund, das Verfahren wieder aufzunehmen. Der Mann, ein Mitinsasse der Bayreuther Bezirksklinik, hatte ausgesagt, Kulac habe ihm gegenüber die Tat gestanden. Hinterher musste er zugeben, dass er gelogen hatte, weil Ermittlungsbeamte Druck auf ihn ausübten, indem sie ihm Vollzugs-Erleichterungen in Aussicht stellten." Zweitens sei das Glaubwürdigkeits-Gutachten zu diesem sogenannten Geständnis anfechtbar. Und drittens hätten Zeugen Peggy Knobloch noch nach dem angeblichen Tatzeitpunkt lebend gesehen. Anwalt Euler: "Ulvi Kulac ist kein Mörder."
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