Mord in Jena: Täter läuft nach 20 Jahren noch immer frei herum 15.08.2016 - 02:00 Uhr
Vor 20 Jahren, am 15. August 1996, verschwindet in Jena die zehnjährige Ramona Kraus. Fünf Monate später werden ihre sterblichen Überreste bei Großburschla gefunden. Vom Mörder fehlt jede Spur.
In einem Wald bei Großburschla fand im Januar 1997 ein Jäger den Schulranzen der im August 1996 in Jena verschwundenen Ramona Kraus. Wenig später entdeckten Polizeibeamte die sterblichen Überreste des zehnjährigen Mädchens. Der Mörder läuft bis heute frei herum.
Jena. Jetzt wäre sie 30, wäre. Denn Ramona Kraus, das zehnjährige Mädchen, verschwand heute vor 20 Jahren, am 15. August 1996. Erst Monate später wurden ihre Überreste in einem Wald in der Nähe von Großburschla bei Eisenach gefunden. Und bis heute ist ihr Mörder nicht gefasst, auch wenn die Polizei in Abständen wieder und wieder den Fall bearbeitet.
Erinnern wir uns: Am 15. August 1996 war Ramona das letzte Mal in der Schule, sie besuchte die Klasse 4b der damaligen 14. Grundschule. Nach der Schule ging das Mädchen gemeinsam mit Freundinnen zum Columbus-Center in Jena-Winzerla. Ramona blieb nicht lange, sie verabschiedete sich von ihrer Freundin mit den Worten: "Ich muss um 1 zu Hause sein." Und ging.
Es war in der Familie vereinbart, dass sie unmittelbar nach der Schule nach Hause kommt und sich dann gleich telefonisch bei der Mutter meldet. Von der Freundin wurde sie noch gesehen, wie sie die Freitreppe am Columbus-Center hinaufrannte, das war 12.50 Uhr. Sie hatte einen geblümten Rock mit passender Weste an, trug den bunten Schulranzen auf dem Rücken und den blauen Turnbeutel in der Hand.
1,5 Kilometer Heimweg – sie kam aber nie an
Ramona wohnt in Jena-Ammerbach. Ramonas Heimweg führt entweder an der Straße entlang oder über den so genannten Hahnengrundweg, 1,5 Kilometer durch Gärten und Wiesen. Aber sie kommt nicht an. Gegen 18 Uhr alarmieren ihre Eltern die Polizei.
Die Fahndung der Polizei läuft sofort an. In den nächsten Stunden durchkämmen rund 250 Polizisten mit Hunden den Wald und das gesamte Gelände um Winzerla und Ammerbach. Hubschrauber sind eingesetzt. Den ganzen nächsten Tag suchen die Beamten nach dem Mädchen. Schließlich wird das Einsatzgebiet zwischen Ringwiese und Saale erweitert.
Fahndungsplakate sollen nun helfen. Von dem Bild und der Personenbeschreibung der kleinen Ramona erhoffen sich die Polizisten Zeugenaussagen. Die Kriminalpolizeiinspektionen in Jena und Weimar werden de facto aufgelöst, 80 Prozent aller Kriminalbeamten arbeiten am Fall Ramona Kraus. Rund 100 konkrete Ermittlungsrichtungen ergeben sich in den nächsten Tagen.
Am 20. August will ein Zeuge Ramona an der Autobahn bei Quirla gesehen haben, ein anderer Zeuge gibt einen Hinweis auf die kleine Gemeinde Nennsdorf. Bis zum 22. August werden allein 2500 Personen befragt, doch am Ende stehen die Polizisten immer wieder mit leeren Händen da – keine Spur führt zu Ramona.
Am 25. August wird der Fall bei "Kripo live" im Mitteldeutschen Rundfunk vorgestellt, wieder gehen Hinweise ein, die aber auch nicht weiterführen. Am 26. August suchen Taucher die Saale ab. Aber immer wieder führen die Ermittlungen zurück zum Ausgangspunkt Columbus-Center, wo die kleine Ammerbacherin zuletzt gesehen worden war.
Dringend bittet die Polizei über die Medien um Hinweise von Zeugen, die an dem fraglichen Tag zwischen 13 und 15 Uhr Personen oder Fahrzeuge im Bereich des Hahnengrundweges gesehen haben. In die Ermittlungen ist inzwischen auch Interpol eingeschaltet. Denn nach den kurz zuvor in Belgien aufgedeckten Fällen von Kindesmissbrauch drängt sich ein Zusammenhang geradezu auf. Eine Spur führt auch nach Tschechien, weil durch die Ermittlungen in Belgien auch ein Kinderprostitutions-Ring in Prag aufgeflogen ist, vom Prager Ring gab’s Spuren nach Bayern und Thüringen. Und schließlich verfolgen die Polizisten auch eine Spur nach Chomutov.
Am 1. September berichtet "Kripo live" erneut. Daraufhin kommen Hinweise auf gefundene Schulranzen, Turnschuhe, manche wollen Ramona gar in einem Pkw gesehen haben. Am gleichen Tag ist wieder Großeinsatz am Columbus-Center. Die Polizei durchsucht jeden Winkel – nichts, aber die Suche geht weiter.
Das Landeskriminalamt setzt eine Belohnung von 5000 Mark aus für Hinweise, die zum Auffinden des Mädchens führen. Am 9. September durchsucht die Polizei Kanalschächte in Winzerla und ein nicht mehr bewohntes Grundstück oberhalb Winzerlas. Auch leere Wohnungen und Baracken im Osten der Stadt werden überprüft. Vierzehn Tage später beginnt die erneute Suche in Winzerla und Ammerbach. Die Polizei teilt am 15. Oktober mit, dass sie etwa 5000 Personen befragt habe und 189 Spuren bearbeitet. Ramona aber bleibt spurlos verschwunden.
Eine neue Richtung der Ermittlung ergibt sich, als sich im Herbst ein Busfahrer meldet, der regelmäßig in Winzerla unterwegs ist. Er gibt an, bereits mehrfach einen dunklen BMW 850 Ci in einer Parkbox an der 14. Grundschule gesehen zu haben. Nun läuft auch die Suche nach dem dunklen BMW an. Die Polizei ermittelt, dass der Pkw vor dem 15. August auf einem Parkplatz am Kölner Flughafen gestohlen worden war. Die Spur kann bis nach Kiew verfolgt werden, dort verliert sie sich. Ob das Auto mit dem Verschwinden von Ramona Kraus zusammenhängt, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.
Fünf Monate intensiver Arbeit liegen hinter den Jenaer Kriminalbeamten, als am 13. Januar 1997, kurz vor Mitternacht, die Nachricht eingeht, dass die Schultasche Ramonas in einem Waldstück bei Großburschla, unweit des Berges Heldrastein, gefunden wurde. Einem Jäger war die Tasche aufgefallen, in ihr Schulbücher und Hefte. Nur der Name Ramona Kraus auf den Heften sagte ihm nichts. Erst am Abend in der Kneipe, als die Männer von einem verschwundenen Mädchen aus Jena sprechen, erinnert er sich. Und einer der Männer ruft bei der Polizei an.
Warum ausgerechnet Großburschla?
Noch in dieser Nacht fährt die Jenaer Polizei mit einem Großaufgebot nach Großburschla und sperrt das Waldstück weiträumig ab. Am nächsten Morgen beginnt die Suche. Ja, Ranzen und Turnbeutel sind zweifelsfrei die Sachen von Ramona. Zentimeter für Zentimeter suchen die Beamten den Wald ab - und finden die sterblichen Überreste des Kindes. Nun steht die Frage: Wie ist Ramona dorthin gekommen, mehr als 100 Kilometer weg von Jena? Neue Fragen sind nun von der Polizei zu beantworten: Gibt es Leute in dem 1360-Seelen-Dorf Großburschla mit Beziehungen zu Jena? Denn warum Großburschla? Die Polizei findet auch Beziehungen zwischen Großburschla und Jena, mehrere. Jede dieser Personen wird nun überprüft. Doch nichts, keiner kommt als Täter in Frage.
Eine weitere Schiene ist die kriminaltechnische Seite. Kann die Wissenschaft mit Hilfe der Fundstücke Anhaltspunkte liefern? Das Problem: Viele der Fundstücke sind so klein oder so empfindlich wegen des langen Liegens im Wald, dass nur eine einzige Untersuchung möglich ist. Wenn’s nichts bringt, sind sie unwiederbringlich verloren. Einen zweiten Versuch gibt es nicht.
Und die Polizei arbeitet weiter, Steinchen für Steinchen – denn Mord verjährt nicht.