Verjährt –Mord an Oberstleutnant Alboth bleibt ungeklärt
17.6.2019 - 11:52, Von Silvana Guanziroli Herbert Alboth 1959 neben dem damaligen amtierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt. Alboth unternimmt für die Schweiz zahlreiche Auslandsreisen, schafft es innerhalb der Schweizer Armee zum Oberstleutnant und schreibt als Fachjournalist auch Bücher. Keystone
Dieses Tötungsdelikt sorgt 1990 schweizweit für Schlagzeilen: Herbert Alboth, Mitglied der Vorgängerorganisation der Geheimarmee «P-26», liegt erstochen in seiner Wohnung. Der Fall ist bis heute ungeklärt. Nun hat die Berner Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt.
Es ist Alboths Wäschefrau, die an jenem Donnerstag im April 1990 in der Wohnung im Berner Liebefeldquartier die blutige Entdeckung macht. Sie findet das 75-jährige Opfer leblos und spärlich bekleidet auf dem Bett in seinem Schlafzimmer. Schnell gibt die Polizei bekannt: Alboth sei bereits zwei Tage zuvor mit seinem eigenen Armee-Bajonett erstochen worden.
29 Jahre sind seither verstrichen, und noch immer fehlt vom Täter jede Spur. Ansätze der Ermittlungsbehörden zur Klärung des Verbrechens verliefen allesamt im Sand. Grundsätzlich verjährt Mord in der Schweiz nach 30 Jahren, im Fall Alboth wäre es also im April 2020 soweit. Doch diese Frist hat die Berner Staatsanwaltschaft nun vorgezogen, wie eine Anfrage bei der Kantonspolizei Bern zeigt.
«Die zuständige Staatsanwaltschaft hat mittlerweile entschieden, dass dieser Fall verjährt ist», bestätigt Polizei-Sprecher Dominik Jäggi. «Deshalb können wir dazu – nicht zuletzt mit Blick auf das Datenschutzgesetz – auch keine Angaben mehr machen», so Jäggi weiter.
Mitglied einer Geheimorganisation
Damit bleibt ein Fall ungesühnt, der seit 30 Jahren die Verschwörungstheoretiker befeuert. Der Grund dafür ist ein brisantes Detail aus Alboths Vergangenheit: Der einstige Oberleutnant der Schweizer Armee war bis 1975 Mitglied des Spezialdienstes in der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA). Dabei handelt es sich um eine Vorgängerorganisation der «Geheimarmee P-26», die 1990 im Rahmen einer Parlamentarischen Untersuchungskommission aufgedeckt wurde. Das Ergebnis einer damaligen Administrativuntersuchung – den «Cornu»-Bericht – klassifizierte der Bundesrat 1991 für 50 Jahre als geheim. Frühestens 2041 kann somit das ganze Dokument zur Einsicht freigegeben werden. Eine anonymisierte Version hat der Bundesrat zwischenzeitlich veröffentlicht.
Ob etwas über Herbert Alboth in dem Bericht steht, ist ungewiss. Dass Alboth aber etwas mit der ganzen Enttarnung der «P-26» zu tun haben soll, behauptete kurz nach dessen Ermordung eine umstrittene Figur. Der ehemalige Brigadier Jean-Louis Jeanmaire, der 1977 wegen Landesverrates zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, meldet sich kurz nach der Tat bei der Kantonspolizei Bern. Er gibt zu Protokoll, Alboth habe Bundesrat Kaspar Villiger angeboten, bei der Aufdeckung der Geheimarmee zu helfen. Einen entsprechenden Brief hatte das spätere Opfer tatsächlich geschickt. Gemäss Militärdepartement habe man das Angebot aber dankend abgelehnt.
Mord im Strichermilieu?
Während Verschwörungstheoretiker davon überzeugt sind, sah die Kantonspolizei zwischen Alboths geheimen Tätigkeiten und seiner Ermordung nie einen Zusammenhang. Die Ermittlungsbehörden gingen vielmehr von einem homosexuellen Beziehungsdelikt aus, wie die «NZZ» schreibt. So soll Alboth in seiner Wohnung ausschweifende Feste gefeiert und regen Kontakt mit jungen Nordafrikanern gepflegt haben. Gegen einen 18-jährigen Tatverdächtigen kam es konkret zu einem Ermittlungsverfahren. Seine Spur verlor sich in Algerien. Ein Rechtshilfegesuch an die dortige Regierung brachte keinen Erfolg.
Mordfall Alboth, ungelöst Im April 1990 wird Herbert Alboth, ein Mitglied der Vorgängerorganisation der «Geheimarmee» P-26, in seiner Wohnung erstochen. Ein Täter wird nie gefasst – das nährt bis heute Verschwörungstheorien. Marc Tribelhorn 16.4.2018, 06:00 Uhr
Die Wäschefrau stutzt, als sie Herbert Alboths Wohnung im 4. Stock eines Mehrfamilienhauses in Köniz betritt. Es herrscht an diesem Donnerstagabend Mitte April ein heilloses Durcheinander, vom 75-Jährigen keine Spur. Im Schlafzimmer macht sie schliesslich den grausigen Fund. Der Bewohner liegt tot und nur spärlich bekleidet auf dem Bett: umgebracht schon zwei Tage zuvor mit mehreren Stichen in den Bauch – mit dem eigenen Armee-Bajonett.
Das brutale Tötungsdelikt wirft in den Medien einige Wellen. Herbert Alboth ist eine in militärischen Kreisen geachtete Persönlichkeit. 1915 als Sohn eines deutschen Teppichhändlers geboren und in Zürich aufgewachsen, wird der gelernte Dekorateur nach seiner Einbürgerung zum glühenden Patrioten. In der Armee steigt er die Karriereleiter bis zum Oberstleutnant der Luftschutztruppen hoch, inspiziert als Fachjournalist ausländische Streitkräfte und setzt sich mit Schriften wie «Achtung Panzer!» für die Landesverteidigung ein. Am Auf- und Ausbau des schweizerischen Zivilschutzes während des Kalten Krieges wirkt er massgeblich mit, ist ab 1954 Informationschef, später auch noch Zentralsekretär und Schriftleiter der Zeitschrift «Zivilschutz». Zusammen mit dem Guerillakampf-Theoretiker Hans von Dach veröffentlicht er eine «Zivilschutzfibel», welche die Bevölkerung mit praktischen Tipps über nukleare Gefahren aufklärt («eventuell eingedrungenen radioaktiven Staub mit feuchtem Lappen aufnehmen. Wasser vom Haus entfernt wegschütten. Lappen vergraben.»)
«Amour» auf der Brust Die Berner Kantonspolizei ermittelt im Mordfall Alboth auf Hochtouren, tappt bezüglich der Täterschaft aber im Dunkeln. Sie geht von einem homosexuellen Beziehungsdelikt aus. Denn Alboth soll bei sich zu Hause mitunter ausschweifende Feste gefeiert und regen Kontakt mit jungen Nordafrikanern unterhalten haben, wie etwa die Nachbarn bestätigen. Die Gerichtsmediziner entdecken zudem auf der Brust des Ermordeten einen seltsamen Schriftzug: Mit einer Art Fettstift wurde in ungelenken Lettern ein Wort geschrieben, das die Beamten als «Amour» deuten. Gegen einen 18-Jährigen Tatverdächtigen wird schliesslich ermittelt, dessen Spur verliert sich indes im Ausland. Auch ein Rechtshilfegesuch nach Algerien bringt keine neuen Erkenntnisse.
Dafür wird ein brisantes Detail aus Alboths Vergangenheit publik, das allerlei Spekulationen befeuert. Der Verstorbene war bis Ende 1975 Mitglied des Spezialdienstes in der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA). Dieser befasste sich mit der Vorbereitung des Widerstandes im Fall einer militärischen Besetzung der Schweiz. Es handelt sich dabei um eine Vorgängerorganisation der «Geheimarmee» P-26, über deren Existenz die Medien schon Anfang 1990 wild spekulieren und die Ende des Jahres von einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK EMD) «enttarnt» werden wird.
Nach Bekanntwerden von Alboths gewaltsamen Tod meldet sich zudem eine schillernde Figur bei der Berner Kantonspolizei: Der wegen seines Geheimnisverrats an die Sowjets als «Jahrhundertverräter» bekannt gewordene ehemalige Brigadier Jean-Louis Jeanmaire gibt zu Protokoll, sein Freund Alboth habe kurz vor seiner Ermordung Verteidigungsminister Villiger angeboten, «als Insider» bei der Aufdeckung der «ganzen Wahrheit» über die vermeintliche «Geheimarmee der EMD-Spione» («Schweizer Illustrierte») mitzuhelfen. Er habe der medialen Verunglimpfung des patriotischen Widerstands mit Fakten entgegentreten wollen. Tatsächlich schrieb Alboth Bundesrat Villiger einen entsprechenden Brief; das Militärdepartement lehnte indes dankend ab.
Oberst Bachmann mischt mit Trotz Jeanmaires Hinweis sind die Ermittler überzeugt davon, dass es sich um ein Beziehungsdelikt handelt und der Mord in keinem Zusammenhang mit Alboths geheimen Tätigkeiten steht. Für diese Deutung spricht nicht nur, dass Wertgegenstände wie Fotoapparate aus Alboths Wohnung entwendet wurden, sondern vor allem, dass die Polizei am Tatort noch stapelweise alte Schulungs- und Kursunterlagen, «Drehbücher» für konspirative Übungen und Adresslisten von ehemaligen Angehörigen des Spezialdienstes sicherstellen kann. Material also, das Alboth längst hätte vernichten müssen.
In den Unterlagen finden sich auch private Fotografien, die der Verstorbene anlässlich eines Besuchs beim berühmt-berüchtigten Generalstabsoberst Albert Bachmann in Irland geschossen hat. Der ehemalige Chef des Spezialdienstes, der einst für den Fall einer Evakuierung des Bundesrats Ländereien in Irland kaufte und dann über eine Spionageaffäre stolperte, wird daraufhin von den Berner Ermittlungsbehörden zu einer Befragung aufgeboten. Er gibt an, Alboth habe ihn einmal ferienhalber besucht, sie hätten danach aber kaum mehr Kontakt gehabt. Da einzelne Fotos Führungspersonen der geheimen Widerstandsorganisation zeigen, die unerkannt bleiben müssten, bringt Bachmann den polizeilichen Sachbearbeiter dazu, ohne Rücksprache mit dem Untersuchungsrichter einzelne Bilder zu vernichten.
Die Aktion, die dem Beamten ein Disziplinarverfahren einbringt, rückt die Ermittlungsbehörde in ein schlechtes Licht und sorgt für Negativschlagzeilen. Doch unter dem medialen Aufschrei, den die PUK EMD im November 1990 mit ihrem Bericht über die geheime Widerstandsorganisation P-26 verursacht, gerät der rätselhafte Mordfall Alboth rasch in den Hintergrund. Er ist bis heute nicht aufgeklärt – und nährt weiterhin Verschwörungstheorien. Auch wenn die Landesregierung auf einen Vorstoss des Sozialdemokraten Remo Gysin 2005 unmissverständlich antwortete: Der Bundesrat «sieht sich beim gegenwärtigen Kenntnisstand zu keinen zusätzlichen Massnahmen veranlasst».