Das lange Zögern der Ermittler bei den Göhrde-Morden
?2. Januar 2018
Ilse Gerkens ist im April 1968, als sie durch den Tiergarten radelte, mit vier Schüssen aus einem Kleinkalibergewehr getötet worden. W. besaß mehrerer solcher Gewehre. In seinem geheimen Zimmer wurden mehrere Zeitungsausschnitte zu dieser Tat gefunden.
Es gibt weitere Mordfälle an Anhalterinnen im Norden, für die W. nach Meinung Sielaffs infrage kommen könnte, sowie Taten im Bereich Karlsruhe. Die Frage ist, ob auch sie wieder aufgerollt werden.
Lüneburg. Die Schicksale von Ilse Gerkens und Ulrike Burmester könnten mit Kurt-Werner Wichmann in Verbindung stehen. Sie gehören zu rund 100 ungeklärten Morden , die von der Polizei geprüft werden. Sicher ist: Nicht immer war es der ehemalige Friedhofsgärtner.
Polizeipräsident Robert Kruse hatte auf Drängen der Familie Birgit Meiers erneut Beamte auf den Fall angesetzt. Meiers Bruder, Wolfgang Sielaff, Ex-Chef des Landeskriminalamtes in Hamburg, gab entscheidende Hinweise, er und ein hochkarätiger Kreis von Gerichtsmedizinern, Anwälten und Polizisten fanden schließlich Knochen Birgit Meiers.
Wichmanns mögliche Verbindung zu Gerkens: Im Rahmen anderer Ermittlungen hatte die Polizei Kleinkalibergewehre bei ihm gefunden, Gerkens war mit so einer Waffe getötet worden. Die sichergestellten Waffen brachten damals aber keinen Zusammenhang. Die Schülerin Ulrike könnte ins „Schema“ Wichmanns gepasst haben, er hat sich später an einer Jugendlichen vergangen.
Welche Rolle spielt ein sexuelles Motiv?
Die LZ hat eine Anfrage an die Polizeidirektion geschickt. Interessierte Laienermittler wollen Hinweise dafür haben, dass Wichmann seine Opfer über sexuelle Aktivitäten kennengelernt haben könnte, etwa über Kontaktanzeigen. Dafür lägen keine Anhaltspunkte vor, heißt es von der Direktion. Erstaunlich ist eine zweite Antwort.
Frage: Welche Anhaltspunkte hat die Polizei, dass möglicherweise sexuelle Motive eine Rolle bei den Taten von Wichmann spielten? Antwort: „Der Ermittlungsgruppe Göhrde liegen keine Anhaltspunkte für mögliche sexuelle Motive von Kurt-Werner Wichmann bei dem Mord an Birgit Meier und den zwei Doppelmorden in der Göhrde vor.“ Das meine „juristisch belastbare Anhaltspunkte.“
Ulrike Burmester wurde am 14. Mai 1969 vergewaltigt und ermordet. (Foto: Archiv)
Dabei war Ingrid Warmbier, eines der Opfer, gefesselt und mit durchgeschnittenem BH gefunden worden. Die Toten aus der Göhrde wiesen Verwesungsspuren auf, da sie einige Zeit im Freien lagen, bevor sie entdeckt wurden.
Dass für Wichmann Sexualität eine große Rolle spielte, ergibt sich aus seiner Biografie. In der Familie läuft es nicht gut. Mit 14 Jahren kommt er in Fürsorgeerziehung. 1964 fällt er als Einbrecher auf. Er dringt nachts in ein Nachbarhaus ein, als die Bewohnerin erwacht, würgt er sie. 1965 „betatscht“ Wichmann eine Radfahrerin. 1970 vergewaltigt er eine 17-Jährige, würgt die Anhalterin fast zu Tode. Sie kann ihn überreden, sie laufen zu lassen. Bei einer Durchsuchung findet die Polizei Kleinkalibergewehre bei ihm. Das Landgericht verurteilt ihn 1971 zu fünfeinhalb Jahren Haft, allerdings kommt er 1974 wieder frei.
Sielaff, der mit Kriminalpsychologen zusammenarbeitet, beschreibt es so: Wichmann sei eine „narzisstischpsychopathische Persönlichkeit mit sadistischen Neigungen und einer ausgeprägten Affinität zu Waffen. Er soll schon als Kind Tiere gequält haben, es gab früh sexuelle Übergriffe. Gewalt zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben.“
Ilse Gerkens wurde am 11. April vor 50 Jahren im Tiergarten erschossen. (Foto: Archiv)
Drei Wochen lang hat die Polizei das 1300 Quadratmeter große Grundstück und das Haus Wichmanns im April quasi auf links gedreht. Mehr als 400 Asservate fanden die Beamten, gut die Hälfte davon untersucht das Landeskriminalamt auf Spuren und Verkettungen zu ungeklärten Mordfällen. So wurden in einem geheimen Zimmer Wichmanns Dämmungen abgenommen, um möglicherweise Projektile zu finden. Zu Ergebnissen hält sich die Polizei bedeckt, sie habe noch keine wesentliche Spur gefunden.
Im durchpflügten Erdreich sollen Autoteile entdeckt worden sein. Nicht zum ersten Mal: Zu Lebzeiten Wichmanns hatte die Polizei nach einem Versicherungsbetrug einen verbuddelten Ford Probe freigelegt – mit Blutspuren, die nicht zugeordnet werden konnten.
Mysteriöse Autoteile liegen im Garten
Ermittler der EG Göhrde sollen sich dem Vernehmen nach fragen, ob es einen Zusammenhang zu Morden geben könnte. Eine Idee: Wichmann dürfte einen Komplizen haben, der ihn 1989 in die abgelegene Göhrde fuhr. Er selbst war danach mit hoher Wahrscheinlichkeit mit den Autos der Opfer unterwegs, in einem konnten DNA-Spuren nachgewiesen werden. Beide Fahrzeuge wurden später in Winsen beziehungsweise Bad Bevensen abgestellt. Verschwanden Teile von Wichmanns Auto oder dem seines Komplizen im Garten? Weil Spuren von Opfern zu finden gewesen wären?
Kurt-Werner Wichmann gilt als Mörder von Birgit Meier aus Brietlingen. (Repro: ca)
Im Dunkeln bleibt, warum Wichmann sich die Paare aussuchte und wie es zum Kontakt kam. Aus schierer Mordlust mitten in den Wald zu fahren und auf Spaziergänger zu hoffen, scheint selbst für ein krankes Hirn wenig überzeugend. Angeblich sollen beide Paare eine Verbindung nach Bad Bevensen gehabt haben und die Autos ähnliche Kennzeichen. Spekulationen.
Die Polizeidirektion hat eine sogenannte Clearing-Stelle eingerichtet, wo andere Dienststellen ihre ungeklärten Mordfälle abgleichen können: Rund 100 sind inzwischen eingegangen. Ob Wichmann Gerkens und Burmester auf dem Gewissen hat, ist eine Annahme – die Polizisten ermitteln „in jede Richtung“.
Doch entscheidend bleibt ein DNA-Treffer des mutmaßlichen Komplizen. Denn Wichmann ist tot, er kann nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden.