Fall Yasmin Stieler: Bleibt ihr Tod ungesühnt? 02.09.14
Uelzen. „6. Oktober 1996“ steht als Todesdatum auf dem schlichten Holzkreuz am Grab von Yasmin Stieler. Wann die damals 18-jährige Uelzenerin genau starb, wissen bis heute weder die Polizei noch ihre Mutter Rosemarie Schäfer.
Dabei kann der genaue Todeszeitpunkt noch eine entscheidende Rolle bei der Frage spielen, ob das brutale Verbrechen jemals gesühnt wird. Denn sollte doch noch ein Täter ermittelt werden, würde er womöglich nur wegen Totschlags verurteilt – und solch eine Tat verjährt nach 20 Jahren. Die Polizei müsste somit bis zum 5. Oktober 2016 einen Verdächtigen präsentieren.
Zahlreiche Indizien sprachen für einen 41-jährigen Verdächtigen als Täter, doch das Landgericht Braunschweig weigerte sich, eine entsprechende Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zuzulassen und den Prozess zu eröffnen. Deshalb hat die Mutter des getöteten Mädchens die Belohnung jetzt von 30.000 auf 50.000 Euro für Hinweise, die zu einer Verurteilung führen, aufgestockt.
Yasmin war von einem Discobesuch nach Braunschweig nicht zurückgekehrt, die Teile ihrer zerstückelten Leiche waren an verschiedenen Orten gefunden worden.
„Ich denke jeden Tag daran“
Seit 18 Jahren wartet die Mutter der getöteten Yasmin Stieler auf Gerechtigkeit
Uelzen. Wie viel Leid kann eine Mutter ertragen im Verlauf von 18 Jahren, in denen das Verbrechen an der eigenen Tochter ungesühnt blieb? Rosemarie Schäfer hat ein Dutzend Aktenordner gewälzt, in denen jedes Detail über den gewaltsamen Tod von Yasmin festgehalten ist. Da ist das Pärchen, das die Todesschreie in jener Nacht zum 6. Oktober 1996 in einem Wald bei Peine gehört haben will. Da ist das Obduktionsergebnis, dass der Kopf mit einem elektrischen Messer, Beine und Arme aber mit einem anderen Schneidwerkzeug abgetrennt worden sein müssen.
Viel schlimmer aber sei der Umstand, dass man einfach nicht abschließen könne, sagt Rosemarie Schäfer. So wurden bis heute die Bekleidung und der Rucksack der Getöteten nicht gefunden. „Ich denke jeden Tag daran, es ist immer präsent“, sagt die Mutter und kämpft mit den Tränen. Drei Mal hat sie ihre Tochter beerdigen müssen, als nacheinander Torso, Kopf und Beine gefunden wurden. Die Unterarme fehlen bis heute in dem Grab auf dem Wrestedter Friedhof.
Die Mutter hält regelmäßig Kontakt zur Peiner Kriminalpolizei, die mit dem Mordfall Stieler betraut ist. Dort hat man schon vor vier Jahren keinen Hehl daraus gemacht, dass man den Täter zu kennen glaubt. Doch jenem Mann, der 2010 wegen dringenden Tatverdachts in Untersuchungshaft saß, wurde nie der Prozess gemacht – das Landgericht Braunschweig hielt die Beweislage für zu dünn.
Rosemarie Schäfer kann das bis heute nicht begreifen. „Es gab doch so viele Indizien“, sagt sie. Als Hauptbeweisstück galt ein Spaten aus dem beruflichen Umfeld des Mannes, an dem Erdspuren vom Torso-Fundort gefunden worden waren. Der Verdächtige selbst verwickelte sich in Widersprüche, das Amtsgericht Braunschweig erließ Haftbefehl – doch am Ende reichte es nicht für eine Verhandlung.
„Es gibt noch eine andere Gerechtigkeit“, sagt Rosemarie Schäfer dazu und deutet nach oben. Sie hat keinen Zweifel: „Er war es.“ Mit der Aufstockung der Belohnung auf 50 000 Euro erhofft sich die Mutter den vielleicht doch noch entscheidenden Hinweis, der zu einer Verurteilung führt. „Sie sind doch schon so nahe dran“, sagt sie. Aus dieser Hoffnung schöpft sie die Kraft, den Alltag zu meistern.
36 Jahre alt wäre Yasmin Stieler heute. Wo es ihre Tochter beruflich hin verschlagen hätte – auch darüber macht sich Rosemarie Schäfer viele Gedanken. Ein Anhaltspunkt ist ein verschlossener Brief, den Mitschülerinnen aufbewahren und der in einem Kästchen liegt. Als Schülerinnen hatten Yasmin und ihre Freundinnen ihren Berufstraum niedergeschrieben und in dieses Kästchen gelegt. Die Mitschülerinnen haben alle Briefe geöffnet und geschaut, welcher Traum letztlich wahr wurde – nur der Umschlag des getöteten Mädchens ist bis heute geschlossen.