Warum starb Reinhardt S.?Mysteriöser Mord gibt auch nach 16 Jahren Rätsel auf
BOCHUM
Vor 16 Jahren wurde Reinhardt S. in Bochum erstochen. Der Täter ist bis heute nicht gefasst. Der damalige Leiter der Ermittlungen, Axel Pütter, denkt oft an den ungeklärten Mordfall. Und auch die Witwe von Reinhardt S. fragt noch heute nach dem großen "Warum?".
Es ist kurz nach Mitternacht, als das Ehepaar die Hilferufe hört. Beim Blick aus dem Fenster entdecken die beiden auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Männer. Der eine rennt davon, der zweite taumelt einige Schritte nach vorne, dann stürzt er zu Boden.Wenig später ist Reinhardt S. tot. Mehr als 20 Messerschnitte und -stiche zählt der Gerichtsmediziner bei der Obduktion seiner Leiche. Einer davon hat das Herz des 54-jährigen Familienvaters getroffen – Reinhardt S. hatte keine Überlebenschance, als der Täter in der Nacht zum 2. März 1996 auf ihn einstach.
„Hier ist er damals zusammengebrochen“, sagt Axel Pütter und zeigt auf den Boden. Hier auf dem Bordstein einer ruhigen Seitenstraße im Bochumer Stadtteil Höntrop. Pütter leitete damals die Ermittlungen. 16 Jahre später ist der 58-Jährige noch immer auf der Suche nach dem Mann, den die Zeugen vom Tatort an der Ecke Lohackerstraße/Beethovenweg flüchten sahen.
Umfeld durchleuchtet
Monatelang arbeitete der Kriminalkommissar damals mit vier Kollegen an dem Fall. „Einer der brutalsten meiner Karriere“, sagt Pütter, der zwei Jahrzehnte lang Mordermittler war und heute die Pressestelle des Polizeipräsidiums Bochum leitet. Gemeinsam durchleuchtete das Team das Umfeld von Reinhardt S. – Arbeitskollegen, Freunde, Bekannte und die Familie. „Allein seine Witwe haben wir mindestens 20 Mal vernommen“, erzählt Pütter. „Aber da war nichts.“
Reinhardt S. war sozial engagiert, galt als freundlich. Gemeinsam mit seiner Frau nahm er nach dem Auszug der beiden Kinder eine Pflegetochter auf, organisierte Fahrten für Jugendliche. Seine Kollegen bei Opel beschrieben ihn als zuverlässig und friedfertig. „Einer Schlägerei wäre er aus dem Weg gegangen“, hieß es. „Im gesamten Umfeld konnten wir kein Motiv für einen Mord an ihm finden“, sagt Pütter. „Das Motiv ist aber der Knackpunkt jeder Mordermittlung.“
Bei Feier im Clubheim geholfen
Am Abend an dem er starb, war Reinhardt S. mit seiner Frau bei einer Feier im Clubheim einer gemeinnützigen Organisation gewesen. „Eigentlich hatte er an dem Freitag gar keine Lust, aber er hat sich aufgerafft, weil er versprochen hatte, hinter der Theke zu helfen“, erzählt Barbara S. am Telefon. Kurz vor Mitternacht verabschiedeten sich die Eheleute an der Haustür. „Mein Mann wollte noch beim Wirt des Lokals unten in unserem Wohnhaus vorbeischauen“, erzählt die Witwe. „Leg dich schon hin“, habe er gesagt. „Ich komme gleich nach.“ Morgens um sechs wurde Barbara S. wach. „Als ich sah, dass mein Mann nicht da ist, wusste ich sofort, dass etwas passiert ist“, sagt sie. Kurz darauf klingelte die Polizei.
Der Tatort lag etwa 500 Meter von der Wohnung der Familie entfernt. Was ihr Mann dort wollte, weiß Barbara S. bis heute nicht. „Vielleicht hat er sich noch kurz die Beine vertreten “, sagt sie. Auch die Mordkommission konnte nicht klären, warum es Reinhardt S. gerade in die Lohackerstraße zog. Fest steht nur, dass er dort starb. Getötet von jemandem, der offenbar „wie im Wahn“ auf ihn einstach, so Pütter. Ein Kriminalpsychologe habe deshalb einmal die Vermutung geäußert, dass es sich um einen Psychopathen handele, der unter Drogen- oder Medikamenteneinfluss stand. „Aber das sind Spekulationen.“
Täter hinterließ Spuren
Fakt ist dagegen, dass der Täter Spuren hinterließ. Keine 150 Meter vom Tatort fand sich die Tatwaffe – ein Stoßdolch mit verstellbarer Klinge. Die Waffe, an der noch das Blut des Opfers klebte, lag mit einer Jacke, einer Mütze und schwarzen Lederhandschuhen in einer Mülltonne. „An allen Gegenständen fanden wir die gleiche DNA“, sagt Pütter. „Der Täter muss die Sachen auf der Flucht in die Tonne geworfen haben.“ Weil diese versteckt hinter einer Hecke stand, sei anzunehmen, dass der Mann die Gegend kannte. Der Kommissar ließ seine Leute daher im gesamten Wohnviertel Männer überprüfen, die wegen ihrer Vorstrafen verdächtig schienen. Ihre DNA wurde mit den Tatortspuren abgeglichen – nichts.
Die blau-grüne Trekkingjacke (Marke „Klepper“) die der Täter getragen hatte, war in ganz Deutschland nur 144 Mal verkauft worden. Dennoch auch hier: nichts. „Das war frustrierend“, gibt Axel Pütter zu. „Und belastend.“ Für ihn und seine Kollegen, vor allem aber für die Familie des Opfers.
Pütter setzte auf die Hilfe der Medien. Im Fernsehen wurde mehrfach ausführlich über den Fall berichtet – auch in einer der letzten „Aktenzeichen XY…ungelöst“-Sendungen mit Eduard Zimmermann. „Die Resonanz war groß“, sagt Pütter. „Über Jahre gab es immer wieder Hoffnung, neue Ermittlungsansätze.“ Der entscheidende Hinweis aber war nie dabei.
Pütter: „Wir kriegen ihn noch“
„Ich bin trotzdem sicher, wir kriegen den Täter noch“, sagt Axel Pütter. In seiner Laufbahn habe er nur zwei Mordfälle nicht aufklären können. „Bis jetzt“, betont er. „Bis zur Pensionierung habe ich ja noch vier Jahre Zeit.“ Er selbst darf seit seinem Wechsel in die Pressestelle zwar nicht mehr ermitteln, „aber ich vertraue den Kollegen“. Große Hoffnungen setzt Pütter im Fall Reinhardt S. in die gesicherte DNA. Ein Abgleich mit der Analyse-Datei des BKA habe zwar keinen Treffer gebracht – „aber die Technik entwickelt sich ja weiter“.
Auch Barbara S. hat die Hoffnung auf die Aufklärung des Mordes an ihrem Mann nicht aufgegeben. „Ich wünsche es mir sehr“, sagt sie leise. Auch nach 16 Jahren denke sie noch oft an den Tag. „Und dann ist da immer dieses große Warum.“