Wer hat Silke B. getötet? Die Gen-Spur führt noch immer nicht zum Mörder
vom 18. Juni 2016 Aus der Redaktion des Flensburger Tageblatts
1985 starb Silke B., 2010 ordnete die Polizei Speichelproben an. 22 Personen sind noch nicht überprüft.
Sie lag in einem Graben am Rande eines Rapsfeldes, das Gesicht im Morast: Silke B., 15 Jahre alt, war mit Schlägen auf den Kopf und Messerstichen in den Hals getötet worden. Am Tatort ließ ihr Mörder etwas zurück, ohne zu ahnen, dass ein Mensch es verlieren kann: sein Erbgut. Es war der 1. Juni 1985, und erst neun Monate zuvor hatte der britische Forscher Alec John Jeffreys den genetischen Fingerabdruck entdeckt.
Die DNA-Analyse ist mittlerweile bei vielen „Cold cases“ die letzte Hoffnung der Ermittler, im Fall Silke B. führte sie zum bislang größten Massen-Gentest in der Geschichte Schleswig-Holsteins. Im Herbst 2010 forderte die Polizei 2240 Männer auf, eine Speichelprobe abzugeben. Doch gefunden ist Silkes Mörder bis heute nicht. „Aktuell sind noch 22 Personen offen“, sagt Ulla Hingst, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Lübeck. „13 Verweigerer, acht Männer, die im Ausland leben, und ein Verstorbener.“
Rückblende: Am Tag ihres Todes, einem Sonnabend, war die Schülerin aus Reinfeld (Kreis Stormarn) mit Freunden baden, wollte danach das „Spektakel 85“ besuchen, eine Party in der Masurenweg-Schule in Bad Oldesloe. Ihrem Vater verspricht sie, um 22 Uhr wieder zu Hause zu sein. Mit dem Bus fährt Silke B. nach Bad Oldesloe, wo sich ihre Spur gegen 18.30 Uhr an der B?75 verliert. Sehr wahrscheinlich war sie zu ihrem Mörder ins Auto gestiegen.
Nur zwei Stunden später machte ein Ehepaar zehn Kilometer entfernt einen Abendspaziergang entlang der Travewiesen. Es fand ein weißes Söckchen, einen Schminkspiegel und Silkes schwarze Jacke. Am Tag darauf suchten Polizisten einen Feldweg ab, entdeckten eine Schleifspur im Raps und an deren Ende die Leiche der Schülerin. Schuhe, Strümpfe und Jacke waren ausgezogen, Silke war aber nicht vergewaltigt worden.
Alte Schwarz-Weiß-Fotos zeigen die Polizisten bei der Spurensicherung, hemdsärmelig stehen sie am Fundort, Schutzkleidung ist noch unbekannt. Es ist eine Generation von Beamten, die ihre Berichte in die Tastatur der Schreibmaschine hackt. Die Akte Silke B. legen sie nach einigen Monaten zu den ungelösten Fällen. „Wir haben gemacht, was nach dem Stand der Technik möglich war“, wird der damalige Kripochef später sagen.
Erst als es dank verfeinerter Methoden immer häufiger gelingt, aus Spuren alter Fälle DNA des mutmaßlichen Täters zu gewinnen, werden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Der Mörder von Silke B. hatte am Tatort das Messer zurückgelassen, mit dem er zustach – Klinge 19 Zentimeter lang, der Griff aus imitiertem Horn. Außerdem Zigarettenkippen. Daraus konnten die Experten des Landeskriminalamtes seinen genetischen Fingerabdruck gewinnen. Um auszuschließen, dass die Spur von einem Polizisten stammt, mussten alle damals beteiligten Beamten eine Speichelprobe abgegeben.
Der Kreis der „Verdächtigen“ wurde durch eine Fallanalyse bestimmt. Danach ist der Täter zwischen 18 und 25 Jahren alt gewesen, hatte einen Führerschein und wohnte im Umkreis von 15 Kilometern – oder besuchte zur Tatzeit eine der Schulen in Reinfeld oder Bad Oldesloe. 2240 Männer entsprachen dem Profil.
„2218 haben mittlerweile eine Speichelprobe abgegeben“, sagt Oberstaatsanwältin Hingst. Nicht alle freiwillig – es gab anfangs 28 Verweigerer. „Gegen vier konnten wir einen Anfangsverdacht begründen und Gerichtsbeschlüsse erwirken“, so Hingst. „Alle vier haben daraufhin Proben abgegeben, die negativ ausfielen.“ Weitere Verweigerer ließen sich durch Gespräche überzeugen. „Wir haben die Zahl jetzt auf 13 Personen reduziert“, so Hingst.
Auch für sie müssen die Ermittler einen Verdacht begründen, um einen Gerichtsbeschluss zu erhalten. Wie die Chancen stehen, lässt die Staatsanwältin offen. Aktiv ist man bei den acht Männern, die im Ausland leben, unter anderem in Australien, Neuseeland und Japan. Hingst: „Wir versuchen, im Wege der internationalen Rechtshilfe Proben durch die ausländischen Strafverfolgungsbehörden nehmen zu lassen.“ Und dann ist da noch der Verstorbene, von dem es kein DNA-Material gibt. Bei ihm könnte ein DNA-Abgleich von Familienmitgliedern Gewissheit bringen, was juristisch umstritten ist. Exhumierungen soll es nicht geben.
Die Euphorie der Ermittler auf eine schnelle Aufklärung, die 2010 herrschte, ist längst verflogen. „Wir machen weiter, bis wir alles abgearbeitet haben“, heißt es. Wobei aktuelle Tötungsdelikte immer Vorrang hätten.
Silkes Familie hat unterdessen kaum noch Hoffnung, dass der Mörder überführt wird. „Wenn er außerhalb des festgelegten Bereichs wohnte, dann waren alle Anstrengungen vergebens“, sagt Vater Jens B. (76). Silke war sein einziges Kind – und der Schmerz des Verlustes ist auch nach über 30 Jahren nicht verwunden. „Nachdem der große Gentest alles wieder aufgewirbelt hatte, sagen wir heute, man muss Silke endlich ruhen lassen, damit wir unseren Frieden finden.“